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Lea

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Stuttgart 21 – Nadja

Inhalt:

Stuttgart 2021 – die Landeshauptstadt ist abgeriegelt. Niemand kommt hinein, niemand kommt heraus, die Einwohner wurden evakuiert. Nur haben nicht alle Stuttgarter die Stadt verlassen. Nadja kämpft sich als Sechsjährige durch die Reihen der Einsatzkräfte und erhält Hilfe von Tobias. Zumindest scheint es im ersten Moment so. Schnell stellt sich für das verängstigte Kind heraus, dass Tobias vielmehr seinem eigenen Vater zu gefallen versucht, wobei er geradezu unfreiwillig den letzten Willen von Nadjas Vater aushebelt und den Initiatoren des Virus in die Karten spielt. Nadja ist jedoch trotz ihres Alters nicht völlig hilflos.

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Also, bisher war das für mich der schwierigste Teil der Serie. Ich wollte das kleine Mädchen hopps gehen lassen. Ich hatte großartige Pläne, habe meinem inneren Miststück freie Hand gelassen – aber … am Ende … – ja, was :D? Spoiler-Alarm gibt’s jetzt keinen 😉 nur dass ich meine grausame Ader anders ausgelebt hab 😀

Stuttgart 21- Jennie

Inhalt:

Stuttgart 2021 – Jennie, Barkeeperin in einem Irish Pub in Tübingen, ist eine der wenigen Überlebenden aus dem Lokal und will mit Sonja, Isabelle und Alex aus der Stadt fliehen. Allerdings trennt sie sich von der Gruppe in der Hoffnung, ihre Familie zu finden. Im Gegensatz zu Isabelle wird sie aber nicht infiziert, sondern fällt einem Forscher in die Hände, der sie aufnimmt und ihr scheinbar helfen will. Doch ist er der Mensch, der er zu sein vorgibt?

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Was soll ich schon groß sagen :D? Mir macht meine Zombie-Reihe halt echt Spaß 😀 und ich bin echt gespannt, wie euch die einzelnen Figuren gefallen und wer am Ende euer Liebling ist 😉 ich mein, es kommen 10 Bände auf euch zu 😀 da wird doch wohl eine meiner starken Damen überzeugen 😉

Isabelle

»Du hast gesagt, in Stuttgart hat es angefangen?«, fragte Isabelle. Sonja nickte. Alex war ihr über den Rückspiegel hinweg einen seltsamen Blick zu. Isabelle biss sich auf die Unterlippe. Ihr Mann wollte heute nach Vaihingen. Vielleicht hatte Nadja ihn aber doch dazu überreden können, mit ihr im botanischen Garten zu picknicken. Zumindest hoffe Isabelle, nach allem, was im Pub geschehen war, dass ihre kleine Tochter erfolgreich gewesen war. Falls nicht, würde ihr keine andere Wahl bleiben, als … »Dann sollten wir nach Stuttgart gehen. Irgendwie. Und die Wahrheit ans Licht bringen.« Und mir die Möglichkeit geben, nach meiner Familie zu schauen.

»Du meinst, wir brechen in das Labor ein und besorgen die Forschungsunterlagen?« Sonja klang skeptisch und Isabelle konnte mühelos heraushören, dass ihr dieser Gedanke nicht gefiel. »Eigentlich keine schlechte Idee. Aber wie sollen wir da reinkommen? Wie sollen wir das Labor überhaupt finden?«

Isabelle unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Es war nur natürlich, dass Sonja ihren Vorschlag hinterfragte, sie selbst würde ja nicht anders handeln, aber sie hatte jetzt bei Weitem andere Sorgen, als gegen Sonjas Skepsis anzukämpfen. Doch sie würde anders nicht weiterkommen. Fieberhaft überlegte sie sich eine Antwort, als sie unerwartete Hilfe bekam.

»Das sollte kein Problem sein«, bemerkte Jennie zu Isas Erstaunen. »Wenn du den Namen hast, dann wird man das sicher finden. Das Internet vergisst nichts, und wenn der da irgendwie auf diese Pflanze stolz ist, wird man da sicher was finden.«

»Ich bin mir sicher, dass das nicht so einfach ist«, meinte Isa und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, kaum hatte sie den Mund geschlossen. Klasse gemacht, Isabelle. Willst du nun zu deinem Mann oder nicht?

»Sei kein Spielverderber, Isa. Sonja, wie hieß der Kerl?« Isa gelang es nicht, ihre Überraschung zu verbergen, als sie sah, wie Jennie ihr Smartphone in der Hand hielt. Keine Spur von Schock oder Entsetzen in ihrem Gesicht, nein, die Freundin und Kollegin wirkte nahezu rational, emotionslos. Nicht einmal Linda würde so ruhig bleiben, da war sich Isa sicher. Ob sie wollte oder nicht, sie war beeindruckt.

»Baumann.« Kurz und knapp – typisch Sonja. Während Jennie tippte, konnte Isabelle nicht widerstehen. Sie spähte über deren Schulter und zählte innerlich bis zehn, während das Internet lud und lud.

»Na also. Also, er befindet sich im Laboratorium für Lebensmittelforschung und Nahrungstechnologie. Das sollte wohl nicht schwer zu finden sein. Das Gebäude ist direkt am Schloss. Vor ein paar Jahren frisch erbaut.«

Isa nickte, langsam. Sie wusste nicht, wie sie jetzt reagieren sollte, ohne ihre wahren Absichten zu verraten.

»Selbst wenn er die Unterlagen zu der Bacon-Pflanze nicht da hat, werden wir dort Hinweise darauf finden, wo sich das eigentliche Labor befindet.« Jennie klang erstaunlich zuversichtlich, fand Isa. Angesichts der Lage vielleicht etwas zu zuversichtlich, aber jeder wie er mochte. Als Alex abbog, wusste Isa, sie musste handeln. Musste sich überzeugen, ob Mann und Kind zu Hause waren.

Alex, du musst hier andersrum abbiegen. Ich muss nach Hause!« Sie beugte sich vor, ihr Gesicht auf Höhe seines Kopfes. »Ich wohn da vorne. Wir müssen meinen Mann und meine Tochter mitnehmen.« Oder nachschauen, ob sie Zuhause sind. Wenn ja, dann muss ich nicht mit nach Stuttgart. Wenn nein, naja, dann hab ich wohl keine andere Wahl.

»Dafür haben wir keine Zeit. Schreib ihnen. Schreib ihnen und sag ihnen, dass sie aus der Stadt fliehen sollen.«

»Aber zu mir können wir doch, oder? Ich will wenigstens noch ein, zwei Sachen mitnehmen. Glücksbringer, wenn du so magst.« Jennie drängte sich neben Isa, stieß sie etwas zur Seite. Isa unterdrückte ein Fauchen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Leute, so sehr ich euch auch verstehe, aber dafür bleibt keine Zeit. Das geht nicht. Wenn die Lage so bleibt, können wir ja wieder zurückkehren und alles holen. Aber Jennies Plan ist gut. Wir müssen nach Stuttgart. Wir müssen die Öffentlichkeit über alles informieren. Und ich weiß auch schon, wer uns dabei helfen wird.«

Isa wusste, dass Sonja recht hatte. Ihr war auch klar, dass Sonja auf ihre Hilfe baute. Stuttgart war abgeriegelt – nach den Ereignissen im Pub fiel ihr das nicht mehr so schwer zu glauben. Sie verstand auch dieses Hin- und Herfahren, auch wenn sie es für absolut schwachsinnig hielt. Da hätte es sicher auch einfachere Wege gegeben, die von Sonja gebunkerten Sachen mitzunehmen. Nur Esther – das war für Isa der einzig wirklich nachvollziehbare Grund für das ganze Chaos. Es war viel zeitaufwendiger, erst zu Sonja, dann zum Pub zu fahren, doch sie hielt den Mund. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um zu streiten oder zu diskutieren. Jetzt musste sie schnell schalten. Jetzt musste sie sich ganz schnell etwas einfallen lassen. Isa ließ sich in ihren Sitz zurücksinken. Alex würde nicht zu ihr fahren, das war sicher, doch sie konnte auch nicht bei ihnen bleiben. Ja, natürlich war sie auch der Meinung, die Wahrheit müsse an die Öffentlichkeit geraten, aber sie wollte erst einmal ihre Familie in Sicherheit wissen. Danach war sie bereit, jeder Zeitung, jedem Reporter Rede und Antwort zu stehen.

Die Ampel wechselte von Grün auf Rot, Alex bremste und hielt pflichtbewusst an. Isa schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, schluckte – und sprang aus dem Auto. Es war vielleicht dumm. Es war vielleicht unverantwortlich. Aber es war die einzige Möglichkeit, die Isa sah, um zu ihrer Familie zu gelangen. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, ignorierte sie das schlechte Gewissen, das ungute Gefühl, das sich in ihr ausbreitete und rannte. Sie wich den hupenden Autos aus, rannte über die vierspurige Straße. Jennie schien ihrem Beispiel zu folgen, wie ein weiteres Knallen einer Tür zeigte. Sie taten also alle genau das, was man in solchen Situationen nicht tun sollte: Sich trennen und einzeln durchschlagen. Aber Isabelle konnte nicht anders. Ihre Familie war ihr nun einmal wichtiger.

Sie schlüpfte durch die Studentengruppen hindurch, wich flink einzelnen Menschen aus. So friedlich, so ruhig – keiner von ihnen ahnte von der Gefahr, die ihnen drohte. Missbilligende Blicke, verärgerte Ausrufe – Isabelle scherte sich nicht darum, was man von ihr hielt. Sie rannte einfach weiter. Musste weiterrennen. Stehen bleiben würde zu viel Zeit kosten. Wertvolle Zeit, die ihre beiden Liebsten vielleicht nicht mehr hätten.

»Ey! Pass doch auf!«

Isa strauchelte. Für einen kurzen Augenblick war sie abgelenkt gewesen. Hatte einen Skaterboarder übersehen. Sie stolperte einige Schritte, brauchte einen Moment, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden, sich wieder zu fangen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung lief sie weiter. Kümmerte sich nicht darum, um ob er sich verletzt hatte. Ob ihm was passiert war. Die ein, zwei Kratzer würden sein kleinstes Problem sein, wenn die Kacke richtig anfing zu dampfen. Autos hupten, als sie erneut über die Straße hetzte. Die Einbahnstraßen und nicht sonderlich klug geschalteten Ampeln, die zu oft von Rot auf Grün wechselten, erschwerten ihr den Heimweg. Doch schlussendlich hatte sie das Hochhaus erreicht. Schweiß lief ihr in Strömen über Stirn und Rücken. Die kühle Luft im Treppenhaus ließ sie frösteln, obwohl es für deutsche Verhältnisse relativ gutes Wetter war und die Temperatur hoch. Isa sprang die Stufen hinauf, mehrere auf einmal, wusste, viel Zeit blieb ihr nicht, wenn die beiden wirklich nicht in Tübingen waren. Ihre Hand zitterte, als sie ihre Wohnungstür aufschloss. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, das Blut rauschte in den Ohren – Isabelle war sich nicht sicher, ob sie nicht gleich ohnmächtig werden würde. Als die Tür endlich aufsprang, war das Erste, was ihr auffiel, das blinkende, rote Licht des Anrufbeantworters. Auch wenn es altmodisch war, Bashir hatte sich durchgesetzt. Er mochte Anrufbeantworter und hinterließ ihr immer wieder kleine, süße Nachrichten, doch etwas sagte Isa, dass diese Nachricht nicht so süß sein würde, wie sonst. Ihr Atem ging stoßweise, sie biss sich auf die Unterlippe, als sie den Knopf drückte und die Nachricht abhörte.

»Schatz, Nadja und ich sind in Vaihingen. Meine alte Professorin hat uns zum Kaffee eingeladen, du weißt doch, wie sehr ich Valerie Baumann schätze. Aber wir sind zurück, bevor du Feierabend hast – und dann haben wir eine Überraschung für dich. Wir lieben dich, Superfrau!«

Isa lächelte, auch wenn ihr nicht wirklich danach war. Ja, die Nachricht war nicht wie sonst voll süßer Liebesbekundungen, sondern mehr informativ, aber leider nicht so, wie sie gehofft hatte. Die beiden waren also mitten in der Gefahrenzone. Das war definitiv nichts, was sie erfreute, aber sie wusste auch, dass Bashier, ihr geliebter Ehemann, seiner alten Ägyptisch-Dozentin nichts abschlagen konnte. Nicht, nachdem sie ihn voreinigen Jahren in Ägypten an der Forschung an einer alten Pyramide beteiligt hatte und sie dort einen sagenhaften Fund alter Schriften gestoßen waren. Seitdem vergötterte Bashier Valerie Baumann Bashier. In schwachen Momenten wurde sie manchmal eiferrsüchtig, doch dann hinterließ ihr Bashier wieder eine süße, liebe Nachricht und alles war vergessen. Doch nun, nun war er mit Nada bei Valerie. In Vaihingen. Unmittelbar an der Sperrzone. Isabelle schluckte, atmete tief durch. Sie durfte jetzt nicht den Kopf verlieren. Sie wählte die Kurzwahltaste ihres Handys, unter der sie Bashiers Nummer eingespeichert hatte, und wartete. Freizeichen um Freizeichen, doch ihr Mann ging nicht ran.

»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Höflichkeit!«, fauchte sie und stecke ihr Handy wieder ein. Gut, dann muss ich wohl einfach auf gut Glück losfahren und schauen, dass ich dich erreich, dachte sie, griff nach ihrem Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Erneut stürmte sie aus dem Haus und kaum hatte sie ihr Auto erreicht, wählte sie erneut seine Nummer, das Handy mit fahrigen Bewegungen in die Freisprechhalterung klemmend.

 

 


Kapitel 2

 

Das Freizeichen nervte sie. Dieser monotone Ton zerrte an ihr, während sie im Schneckentempo aus der Straße fuhr. Wieder einmal bewies Tübingen, dass die stadteigene Straßenführung nichts für Ungeduldige war oder Menschen, die es eilig hatten. Isa knirschte mit den Zähnen, krallte sich am Lenkrad fest, während sie versuchte, dem Drang zu widerstehen, die Fahrer vor ihr anzuschreien und mit einem regelrechten Hupkonzert vor sich herzutreiben. Erfahrungsgemäß ging es dann zwar auch nicht schneller, aber sie konnte zumindest ihrem Unmut freien Lauf lassen. Das Freizeichen tönte laut durch ihr Auto und sie zuckte zusammen. Isabelle seufzte, drehte am Radioknopf. Suchte einen Sender, der dieses nervige Tuten ablösen und ihre Nerven nicht weiter strapazieren würde. Als die Rolling Stones durch den Innenraum ihres Peugot 306 dröhnten, entspannte sie sich etwas. Sie legte auf und beschloss, erst dann wieder zu wählen, wenn sie Tübingen hinter sich gelassen hatte. Zwanzig Minuten müssten reichen, damit Bashier eine Ausrede finden und rangehen konnte. Das Warten trieb sie jedenfalls in den Wahnsinn. Die Rolling Stones schmetterten gerade ihren »Doom and Gloom«-Song, als sie einer schnitt und ohne zu blinken von der äußersten rechten Spur einfach vor sie fuhr und Isabelle nichts anderes übrig blieb, als eine Vollbremsung hinzulegen.

»Du Mongo!« Ihr Herz sprang ihr fast aus der Brust, das Hupen der Fahrer hinter ihr brachte sie allerdings wieder auf Spur. Fauchend gab sie wieder Gas, schaltete und fuhr weiter – immer noch langsam.

 

Sie streckte gerade den Finger aus, um noch einmal die Nummer ihres Mannes zu wählen, als die leise, basslastige Musik zu einem sehr lauten Getöse wurde, das die Nachrichten ankündigte. Isa fluchte. Sie vergaß immer diese automatische Umschaltfunktion auszumachen und erschrak jedes Mal, wenn die Traffic-Funktion griff und die Musik von sehr lauten Nachrichtensprechern mit betont lockeren Sprüchen abgelöst wurde.

»So eben haben wir erfahren, dass es in Tübingen zu Aufständen gekommen sein soll. Natürlich waren wir von SWR3 vor Ort und haben nachgefragt. Wir haben Katja, die direkt am Pub steht, in der Leitung. Katja, was ist da passiert?« Die Stimme des jungen Mannes, dessen Namen sie sich einfach nie merken konnte, klang überaus fröhlich und aufgedreht. »Wie ist denn die Lage in Tübingen?«

»Nun, Kai, hier sieht es echt abenteuerlich aus. Eingeschlagene Fenster, zerbrochene Stühle – Blut. Krass. Ich stehe hier neben dem Chef des Restaurants, der genauso schockiert ist wie ich. Herr Wolf, können Sie mir sagen, was hier geschehen ist?«

Isa hob eine Augenbraue. Das Ganze war so surreal, dass jeder Künstler neidisch werden würde. Zumindest die zahlreichen verkorksten Hipster-Autoren im Brechtbau.

»Das war eindeutig ein Aufmarsch, ein Aufstand. Das waren eindeutig die Leute von Natureen, die mal wieder gegen unsere Burger-Karte gehetzt haben. Die meckern alle paar Wochen und drohen mit einem Aufmarsch, einer Demo. Die haben schon öfters randaliert oder Scheiben eingeworfen.«

Isabelle runzelte die Stirn, als die tiefe Stimme ihres Chefs aus den Boxen drang. »Chefchen, das ist völliger -«

»Die waren das eindeutig. Haben unsere Gäste angegriffen. Meine Angestellten haben sich versteckt, sind geflüchtet. War alles ziemlich gewalttätig.«

»Wie erklären Sie sich das, dass alles voller Blut ist und keine Verletzten gefunden wurden? Dass Gerüchte rumgehen, dass man zahlreiche Leichen herausgetragen hat?«

Gut gesagt, kleine Moderatorin. Isabelle drehte das Radio lauter.

»Das ist nur aufgebauscht. Natureen ist gefährlich, aber niemand ist zu Schaden gekommen. Vor allem droht keinerlei Gefahr, bei uns zu essen. Wir werden natürlich alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann. Aber Natureen muss gestoppt werden!«

Ach, Chefchen. Wer hat dir dieses Märchen erzählt?

»Es wird ja vermutet«, konnte sie die Moderatorin, Katja, sagen hören, »dass der Aufstand was mit der Abriegelung Stuttgarts zu tun hat. Was sagen Sie denn dazu?«

»Ich bin nur der Besitzer des Pubs. Ich habe von einer Abriegelung nur aus der Zeitung gelesen – warum sollte es etwas mit diesen Lebensmittel-Terroristen zu tun haben?«

Isabelle schmunzelte. Ja, da hatte er recht. Der Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen war mehr als dürftig. Wer auch immer diesen Stuss verzapft hatte, wusste genau, was er tat. Nun würden alle Natureen noch skeptischer betrachten, als sie es ohnehin schon taten. Isa fand, sie hatte genug gehört. Als die Moderatorin wieder eine Vermutung äußerte, wechselte sie zurück auf ihre Rolling Stones und wählte endlich erneut die Nummer ihres Mannes. Das erneute Tuten des Freizeichens ließ sie mit den Zähnen knirschen. Gerade, als sie wieder aufgeben wollte, knackte es in der Leitung und Bashiers Stimme war zu hören.

»Baby, was ist los?«

»Schatz, seid ihr noch in Vaihingen? Ist alles in Ordnung bei euch?« Isabelle verschwendete keine Zeit mit Smalltalk. Nicht jetzt. Nicht heute. »Stuttgart ist abgeriegelt – haben sie Vaihingen auch schon abgesperrt? Schatz, nimm Nadja und komm da weg!«

»Ich verstehe nicht. Ja, die Situation in Stuttgart scheint ernst, aber Valeries Mann ist schon mit der Lösung beauftragt. Wir sind hier in Sicherheit. Baby, warum rufst du an? Ist etwas passiert? Und warum willst du, dass wir hier weggehen?«

»Es gab … eine Art Virenbefall im Pub. Das ist alles nicht normal. Wie in diesen schlechten Horrorfilmen. Ich bin auf dem Weg zu euch, ich hol euch ab. Dann fahren wir weit weg. Weit, weit weg.«

»Du arbeitest zu viel. Du siehst schon Dinge …«

»Bashier. Ich meine es ernst. Wir müssen weg aus Baden-Württemberg. Stuttgart war sicher erst der Anfang. Du willst doch auch, dass Nadja in Sicherheit aufwächst, oder?«

»Baby -«

»Nein. Nein, ich hol euch. Bleibt, wo ihr seid. Wenn ihr jetzt auf die Straßen geht, weiß ich nicht, ob sie euch nicht doch auflesen und einsperren. Ich hol euch da raus. Aber versprich mir, dass du auf mich warten wirst. Dass du nichts Dummes tust!«

»Isabelle, übertreibst du es nicht ein bisschen? Was ist vorgefallen? Etwas muss doch passiert sein, so wie du dich aufführst.«

Isabelle schluckte. Wie sollte sie ihm davon erzählen, ohne als völlig verrückt abgestempelt zu werden? Auch Liebe hatte ihre Toleranzgrenzen und bei Wahnsinn war meist eine solche Grenze erreicht. »Nun, dieser Ausbruch, dieses Virus – die Leute sind … wir haben ein neues, veganes Gericht auf die Karte genommen. Und als die das gegessen haben, ist die Hölle losgebrochen. Die sind praktisch über uns hergefallen. Haben uns angegriffen, uns gebissen. Die haben Linda und Kathi getötet. Wie Tollwütige! Schatz, wir müssen hier weg!«

»Bist du dir sicher?«

»Ich hab es doch genau gesehen! Und ich weiß, was Sonja erzählt hat. Das alles ergibt Sinn. Das ist viel zu gefährlich! Wir müssen hier wirklich weg, bevor etwas noch Schrecklicheres passiert!«

»Nun … das würde die Polizisten hier erklären. Wenn eine mutierte Form der Tollwut umgeht. Valerie und ich haben in den Aufzeichnungen aus der Pyramide von ähnlichen Ereignissen gelesen. Aber – vielleicht ist das auch nur eine neue Droge, die völlig unkontrollierte Wirkungen hat.«

Isabelle schüttelte den Kopf. Manchmal machte er es ihr echt schwer, nicht vor Frust zu schreien.

»Schatz, ich komm dich holen. Irgendwie schaffen wir es da raus. Wir müssen einfach weg. Zu unserem Schutz. Zu Nadjas Schutz. Aber lass dir nichts anmerken. Ich will nicht, dass meine Süße sich fürchtet. Und … bitte, bleibt bei den Baumanns. Ich bin so schnell wie möglich da!«

»Schatz -« Doch sie konnte die Resignation in Bashiers Stimme hören. Er würde tun, worum sie ihn gebeten hatte. Doch wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich davor, was geschehen würde, wenn Bashier mit Valerie darüber sprach. Sie traute der schrulligen Dozentin durchaus zu, seltsame heidnische Rituale durchzuführen oder mit ihrem Mann über alles zu sprechen. Dann würde dieser Vaihingen wirklich abriegeln lassen. Isabelle hauchte ein paar Küsse ins Telefon, bevor sie auflegte.

»Egal, was passiert. Ich beschütze euch!«, murmelte sie. Sie würde sich ihre Familie, für die sie so lange gekämpft und auf die sie so lange gewartet hatte, nicht wegnehmen lassen. Von niemandenem. Schon gar nicht seltsamen, durchgeknallten Kannibalen. Als sie endlich das Stadtschild Tübingens passierte, trat sie das Gaspedal durch und überholte die Fahrzeuge vor ihr. Entschlossen, sich von nichts aufhalten zu lassen, verlangte sie ihrem Auto alles ab – und genoss es.

 

 


Kapitel 3

 

Kaum war sie von der Autobahn runter Richtung Vaihingen abgebogen, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Die Straße war wie ausgestorben. Gut, dass niemand Richtung Stuttgart fuhr, war ihr natürlich klar. Abgeriegelte Städte waren nicht gerade beliebe Ziele und auch nicht sonderlich einladend. Doch dass ihr kein Auto aus Vaihingen entgegen kam, verwunderte und beunruhigte sie zugleich. Sie drosselte die Geschwindigkeit, fuhr gemächliche 80, auch wenn es in ihrem Fuß juckte, das Gaspedal durchzudrücken. Geduld war angebracht, auch wenn sie nicht wusste, wie sie die Stärke aufbringen sollte, geduldig zu bleiben. Auf Französisch bis zehn zählend fuhr sie weiter, das Herz flatterte, das Blut rauschte in ihren Ohren. Es fiel ihr nicht leicht, doch sie durfte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen. Wenn sie jetzt unangenehm auffiel, konnte sie das alles kosten. Doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich. Isabelle schluckte. Es fiel ihr schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Als sie um eine Kurve bog, wäre sie beinahe in die Bremsen gestiegen. Der Ortsrand von Vaihingen war noch ein gutes Stück entfernt und nicht mehr sichtbar, was seltsam war, denn eigentlich sollte sie von hier aus schon einen guten Blick auf die Häuser haben. Stattdessen starrte sie auf ein riesiges Aufgebot an Polizeiautos, Sprintern und Hubschraubern. Autos, unzählige verschiedene Modelle in allen Farben parkten vor großen, weißen Zelten, wie man sie eigentlich nur vom Wasen kannte. Isa schluckte erneut trocken. Angst kroch ihr den Nacken hinauf. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Weit vor den Zelten standen mehrere Polizeiautos, nebeneinander, stellenweise kreuz und quer. Es sah verdächtig nach einer Blockade aus. Isabelle fluchte.

Lea

Blut lief in einem dünnen Rinnsal ihren Arm hinunter. Sie tastete ihre Schulter ab, suchte die Stelle, an der das Blut herausfloss. Zwar blutete die Wunde über ihrem Schlüsselbein, aber offensichtlich war es nur eine kleine Fleischwunde. Warum hatte sie auch mit aller Macht versucht, über den Maschendrahtzaun zu klettern? Nur weil der Weg kürzer war und an den Militärstationen vorbeiführte? An den Sicherheitskontrollen und Überwachungstürmen? Sie fluchte – und hätte sich am liebsten im selben Moment dafür geohrfeigt. Eigentlich sollte sie es besser wissen: Ein falscher Laut, eine falsche Bewegung und sie würden sie finden. Sie jagen. Sie verfolgen. Sie fressen. Lea dachte oft an die Zeit, als die Welt noch in Ordnung gewesen war. Als ihr Vater noch lebte und ihr den Weg wies. Ihr zeigte, wo sie sich verstecken konnte. Doch das war schon lange vorbei. Er war tot. War ihnen zum Opfer gefallen. Hatte es getan, um Lea zu schützen. Gestorben, weil sie unbedingt in der Staatsgalerie übernachten wollte. Sie ein letztes Mal sehen wollte, bevor die Zone geschlossen wurde.

Ein schlurfendes Geräusch, ließ sie herumfahren. Reglos verharrte sie, lauschte. Lea hielt den Atem an, zog aus der zerschlissenen Umhängetasche ihren Schutzumhang hervor und warf ihn sich über. Beim Verwesungsgeruch, der sich um sie legte, überschlug sich ihr Magen und sie kämpfte den Würgereiz nieder. Wenn sie sich jetzt übergab, wäre sie verloren. Ob mit »Schutzumhang« oder ohne. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Mit der Technik, die ihr Vater ihr beigebracht hatte, reduzierte sie ihren Herzschlag auf ein Minimum. Senkte ihn, so dass ihr Herz nur noch ganz langsam schlug. Gleichzeitig atmete sie flacher, bewegte sich wie in Zeitlupe und zog den Umhang enger, bevor sie im Schutz der Dunkelheit vorwärtsging. Sie achtete darauf, bei jedem Schritt ein Bein hinterherzuziehen, zu schlurfen und dabei möglichst wenig menschlich zu wirken. Nicht auffallen, nicht sprechen, keine Lebenszeichen – zumindest keine allzu deutlichen – zu zeigen. Das waren die Dinge, die ihr Vater ihr eingeschärft hatte. Sie zog den Umhang noch etwas fester und setzte sie ihren Weg fort. Der Verwesungsgeruch wurde stärker. Kam näher. So nah! Sie waren so nah! Doch Lea kannte die Gassen und dem Verfall ausgelieferten Gebäude um die Staatsgalerie besser als jeder andere. Sie würde unbemerkt an ihnen vorbeikommen, und wenn die Galerie erst einmal in Sichtweite lag, wenn sie die erste Falle aktivieren konnte, dann würde sie sich zu erkennen geben. Und würde sich neue Beute verschaffen. Lea lächelte. Die Staatsgalerie war ihr Zuhause. Ihre Zuflucht. Und zugleich die Ruhestätte ihres Vaters. Sie würden Lea nicht kriegen.

 

Sie blinzelte gegen die Sonne, als sie aus den dunklen Schatten trat. Schlurfend, wie eine von ihnen. Inmitten von ihnen. Lea bemühte sich, ihren Herzschlag weiterhin niedrig zu halten. Flach zu atmen. Wie eine von ihnen. Sie hatte sie lange genug beobachtet, um zu wissen, wie sie sich bewegen musste. Wie sie den Kopf halten musste. Was sie tun musste, um sie zu fangen. Unwillkürlich entwich ihr ein Knurren. Der Gedanke an ihren Vater, an ihre Schwester – was sie getan hatten, brachte Lea dazu, jede Vorsicht zu vergessen. Doch offenbar war ihr Knurren nicht aufgefallen. Natürlich nicht. Denn diese Wesen nur auf eindeutig menschliche Laute.

Vor ihr gelangte die Staatsgalerie in Sichtweite. Nicht mehr lange und sie würde ihren Schutzumhang fallen lassen können. Sich als Mensch zu erkennen geben. Andreas würde schon dafür sorgen, dass sie sie nicht bekamen. Wahrscheinlich saß er schon auf seinem Posten. Lea hoffte es zumindest.

Andreas. Wenn sie an ihn dachte, wurde ihr warm ums Herz. Ohne ihn hätte sie längst aufgegeben. Ihrem Leben ein Ende gesetzt. Wäre dem Weg ihrer Familie gefolgt. Doch so – so kämpfte sie um das Leben, das sie gemeinsam aufgebaut hatten. Lea lächelte. Ja, es war jetzt nicht besonders gut, aber es war ein Leben. Mit allem, was sie brauchte. Nun, fast allem.

Eine Bewegung neben ihr, ließ sie aufschrecken. Der Infizierte zu ihrer Rechten bewegte sich überraschend schnell auf sie zu. Schnuppernd, beinahe schnüffeln hatte er sich ihr zugewandt. Lief hinter ihr her. Lea musste all ihre Willenskraft aufbringen, um ihr Herz weiterhin ruhig schlagen zu lassen. Den Blick möglichst ausdruckslos starrte sie ihm ins Gesicht. Nichts geschah. Er schnüffelte erneut, sog die Luft tief ein. Seine Augen weiteten sich – Gier blitzte darin auf. Er fletschte die Zähne und ein raubtierhaftes Knurren drang aus seiner Kehle. Lea wusste, sie konnte sich jetzt keinen Fehler erlauben. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, sonst würden sie sie bekommen. Der Infizierte gab ein Geräusch von sich, das ihr durch Mark und Bein ging. Lea wusste: Er hatte sie durchschaut.

Mit einem Schrei der Verzweiflung warf sie den Umhang von sich und rannte los. Sie rannte direkt auf die Galerie zu. Schlug Haken. Wich den Infizierten aus, die sich so ungewöhnlich schnell bewegten. Das Virus hatte sich weiterentwickelt. Hatte die Befallenen schneller, aggressiver, aber keineswegs klüger gemacht.

Doch Lea war darauf vorbereitet. Andreas und sie hatten unermüdlich trainiert – was ihr in diesem Moment einen Vorteil verschaffte. Wendig und schnell rannte sie zwischen den Infizierten hindurch, wich den gierigen Händen aus und pfiff dabei in gellender Lautstärke. Ihr Zeichen für Andreas. Mit etwas Glück würde sich vielleicht auch das Militär einschalten – immerhin war dies Sperrgebiet und stand unter ständiger Beobachtung. Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Himmel. Sie suchte die Helikopter. Die Schützen. Doch dieses Mal schienen sich die Freunde der Tarnfarben zurückzuhalten und glänzten durch Abwesenheit. Lea fluchte. Falscher Zeitpunkt, Jungs! Sie hätte absolut nichts dagegen gehabt, wenn sich das Militär selbst zu dieser Party eingeladen und die Infizierten unter Beschuss genommen hätte.

Etwas packte sie am Handgelenk. Lea zerrte, kam aber nicht frei. Das Gesicht des Infizierten hatte sich zu einer hungrigen Fratze verzerrt – angsteinflößend und gierig. Geifer lief ihm aus dem weit aufgerissenen Mund, ein Aufblitzen fauliger Zähne. Sein Atem schlug ihr entgegen und verbreitete dabei den Gestank von Tod, Blut und Fleisch. Lea spürte, wie sich ihr Magen wieder verkrampfte, und kämpfte mit aller Macht die Galle nieder. Er roch ihr Blut, das wusste sie. Sie hätte sich vielleicht doch etwas um die Wunde binden sollen. Einen Verband, den sie dann mit der Haut der Infizierten umwickelt hätte. So hatte sie sich auf ihren wallenden Schutzumhang verlassen, was anscheinend ein Fehler gewesen war. Der Infizierte zog ihren Arm zu sich heran, wollte hineinbeißen. Lea stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Sie wusste, ein Biss und sie würde wie sie werden.

»Lass mich los!«, schrie sie. Lea wusste sich nicht anders zu helfen. Sie trat nach dem Infizierten, schlug ihm mit der freien Hand ins Gesicht. Andere Infizierte wurden auf sie aufmerksam, kamen näher. Schlurfend. Schnüffelnd. Geifernd. Und nach ihrem Fleisch gierend. Lea griff in ihre Tasche. Suchte ihre Waffe, eine kleine Beretta, die sie einem sterbenden Polizisten abgenommen hatte. Im allerletzten Moment umschlossen ihre Finger die Waffe, rissen sie heraus und Lea schoss dem Infizierten mitten ins Gesicht. Der Griff um ihr Handgelenk löste sich. Und Lea rannte. Sie musste doch nur den Vorhof erreichen. Nur diese eine Markierung passieren. Dann würde Andreas die Infizierten, die ihr folgten, ausschalten und sie wäre in Sicherheit. Lea beschleunigte ihre Schritte, die Pistole in der Hand. Das kühle Metall wirkte geradezu beruhigend, gab ihr ein Gefühl von Schutz.

Ein Schuss ertönte.

Noch einer.

Und noch einer.

Lea hätte am liebsten geweint. Erschöpft rannte sie weiter, stolperte, spürte jeden Muskel ihres Körpers. Ihre Beine zitterten. Über ihr erklangen die rotierenden Hubschrauberblätter und Erleichterung durchströmte Lea, der ihr neuen Auftrieb gab. Andreas hatte sicherlich längst seinen Posten bezogen. Obendrein hielt ihr das Militär endlich den Rücken frei. Lea stolperte die Stufen zur Staatsgalerie hinauf. Mit letzter Kraft drückte sie den Schalter, der die Fallen aktivierte, die Andreas und sie sich aus den Ausstellungsstücken und dem Inventar der Kaufhäuser im Umfeld konstruiert hatten und lehnte sich mit einem Seufzer gegen eine Säule, um wieder zu Atem zu kommen. Das Surren der Laser beruhigte ihre Nerven. Lea lehnte ihre Stirn an die Säule, kühlte die erhitzte Haut am Stein.

»Lea!« Sie schreckte auf. »Lea, beweg deinen Arsch hier rein!«

Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Andreas‘ nette Aufforderung konnte sie unmöglich ignorieren. Sie warf einen letzten Blick auf die Infizierten, die ihr gefolgt waren, bevor sie durch den Eingang schlüpfte und Andreas gegenüberstand.

»Na, du hast dir ja ordentlich Zeit gelassen! Nichts geht über einen kleinen Abenteuerspaziergang, hab ich recht?«

»Du bist manchmal ein echter Penner, hat dir das schon Mal einer gesagt?« Lea strich sich eine Strähne hinters Ohr und atmete tief durch. »Hölle, war das knapp!«

»Und es ist noch nicht vorbei!« Andreas zog sie von der Tür weg. »Sie haben den ersten Ring durchbrochen. Unsere Freunde vom Militär sind zwar fleißig dabei, alles niederzuschießen, was sich bewegt, aber es haben zwei oder drei ihren Weg durch unsere erste Laserschranke gemacht. Was willst du jetzt tun? Abwarten und zusehen, ob sie die Tesla-Schranke überleben oder dich wie Rambo dem Schussfeuer anschließen?«

»Nun, einer sollte in eine der Fallen tappen. Schließlich habe ich meinen Schutzumhang verloren. Und du weißt, wie begehrt diese Umhänge auf dem Schwarzmarkt sind.«

»Also warten wir?« Andreas schien von dieser Idee nicht gerade begeistert zu sein. Lea seufzte, wollte gerade etwas sagen, als sie eine Bewegung auf einem der Überwachungsmonitore bemerkte. Eine Bewegung, die sie nicht erwartet hatte. Einer der Infizierten stand vor der Eingangstür der Staatsgalerie und starrte direkt in die Kamera.

»Lea? Lea, siehst du das?«

»Was zum Teufel …? Andi, ich glaube, du kannst jetzt zeigen, wieviel Rambo in dir steckt.« Lea griff nach den Waffen im Schrank neben der Tür, wählte eine Schrotflinte und verzog das Gesicht, während sie sie durchlud. »Auf geht’s! Schießen wir ein paar Infizierten die Gesichter weg!«

 

Lea stand auf dem Vordach des Eingangspavillons, zwischen zwei der gläsernen Dreiecke, und schoss. Der Rückstoß der Schrotflinte drückte sie immer weiter an die Wand des Pavillons. Schmerzhaft drückte der Stein in ihren Rücken, doch wenn sie Andreas nicht die volle Wahrheit sagen wollte, musste sie den Schein bewahren und auf die Infizierten schießen. Mit der Schrotflinte war sie nicht so effizient wie Andreas mit seinem Gewehr – er erinnerte sie an ihren kleinen Bruder, der in den Ego-Shooter immer die Rolle des Snipers gewählte hatte. Andreas lag auf dem Dach des Pavillons, völlig auf die Infizierten konzentriert, bereit, jeden Einzelnen zu töten. Lea lud nach, biss sich auf die Unterlippe und schoss erneut auf einen Infizierten. Es war eigentlich vollkommen unnötig und nichts als Munitionsverschwendung, aber es war etwas, was sie tun musste, wenn sie die Fassade aufrechterhalten wollte. Dabei würde keiner durch die Galerie in ihr Versteck gelangen, selbst wenn einer der Infizierten durch den Haupteingang eindrang. Sie hatte so viele Fallen konstruiert, so viele Hindernisse aufgebaut – das, was Andreas und sie taten, war einfach nur unnötig.

»Lea!«

Sie hob den Kopf. Andreas deutete auf eine kleine Gruppe Soldaten, die sich der Galerie näherten und die Infizierten vor sich hertrieb.

»Was machen die da? Lea! Was machen die da?«

»Ich weiß es nicht!« Und wie sie es wusste. »Lass uns nach drinnen gehen! Ins Versteck! Wir können alles über die Monitore beobachten, aber so können sie nicht zufällig auf uns schießen. Sie wollen uns hier nicht haben. Das weißt du. Die Sperrzone ist nun mal für die Gesunden verboten. Und das werden sie durchsetzen. «

»Aber sie, die Infizierten …«

»Andreas! Du weißt, sie kommen hier nicht lebend durch! Wie oft müssen wir uns denn noch darüber streiten?« Lea kletterte zu ihm aufs Dach. »Komm jetzt! Bevor sie wirklich auf uns zielen!« Lea zog Andreas zur Luke, die ins Innere der Galerie führte, und klettere hindurch.

»Lea! Was ist mit den Infizierten? Was, wenn sie durchkommen? Was, wenn die Jungs vom Militär sie nicht in Schach halten können? Die treiben sie doch direkt auf uns zu!«

»Jetzt komm endlich rein! Himmel! Und geh mir nicht auf die Nerven!« Lea schüttelte den Kopf. »Komm jetzt!« Sie zog Andreas mit sich, beide schulterten ihre Waffen. Sie kamen jedoch nicht weit, denn ein ohrenbetäubendes Poltern ertönte an der Eingangstür des Pavillons. Erschrocken fuhren sie beide herum, Lea lud die Waffe durch, Andreas zielte mit zitternder Hand auf den Eingang.

»Spar dir dein >Ich hab’s dir ja gesagt<!«, knurrte Lea und lief langsam rückwärts. Das Poltern vermischte sich mit einem Kratzen. Schüsse erklangen.

»Ja, ich sag ja schon nichts! Aber …«

»Nichts aber! Los! Lauf!«, schrie Lea, drehte sich um und rannte. »Andreas! Oder willst du gefressen werden, falls sie durchbrechen?« Oder gebraten, dachte sie, wenn ich alles aktiviert habe. Der Kontrollraum. Ihr Hafen. Ihre Burg in diesem von Fallen wimmelnden Labyrinth. Egal wie viele Sorgen sich Andreas machte, wie oft er glaubte, sie würden durchbrechen – keiner von ihnen war jemals bis zum Direktionsgebäude gelangt. Keiner hatte je den Kontrollraum erreicht.

Im Vorbeigehen drückte sie die Schalter. Aktivierte die Fallen. Die Tesla-Laser-Fallen. Die Stacheldraht-Fallen. Alles, was sie sich zusammengebastelt hatte. Auch die Fallgruben. Die Fangnetze mit den Schockimpulsen, von denen Andreas nichts wusste. Und niemals etwas erfahren würde.

»Lea! Bist du sicher, dass sie nicht durchbrechen können?«

»Andreas!«, keuchte sie. »Halt. Die. Fresse!« Sie schlitterte über den glatten Boden, bog schwungvoll um eine Ecke und krachte gegen die Wand. Die Schrotflinte drückte ihr unangenehm ins Fleisch. Schmerz durchfuhr sie, als sie sich den Kolben ins Knie rammte.

»Alles Okay bei dir?« Andreas war stehengeblieben. Stand einfach nur da und sah sie an.

»Steh doch nicht so dumm rum!« Lea spürte, wie ihr die Wuttränen über die Augenlider quollen wollten. Sie griff Andreas‘ Hand, rannte weiter, riss ihn mit. »Komm endlich! Himmelherrgott! Für jemanden mit deinen Panikattacken bist du echt unvorsichtig!« Die Flinte schlug ihr beim Laufen gegen die Hüfte, Andreas‘ Hand rutschte vor Schweiß beinahe aus ihrer. Lea rümpfte die Nase. Manchmal fragte sie sich, ob sie nicht tatsächlich ohne ihn besser dran wäre. Mit schmerzhaft verkrampften Oberschenkelmuskeln und zitternden Knien stolperte sie endlich die Treppen zum Kontrollraum hinauf. Die metallene Sicherheitstür glänzte im hereinfallenden Sonnenlicht – ein Augenblick, der sie ungemein beruhigte. Sie beschleunigte ihre Schritte, mobilisierte ihre letzten Kräfte.

»Lea, bist du sicher, dass …«

»Andreas! Lass es jetzt gut sein!« Lea keuchte, japste nach Atem. Mit zitternden Händen tippte sie die Kombination für das Sicherheitsschloss und ignorierte Andreas. Mit einem tiefen Knarzen schwang die Tür im Schneckentempo auf. Notiz an mich: Öle diese verdammte Tür! Sie huschten hinein und Andreas drückte den Knopf, so dass die Tür wieder im gleichen unpassenden Tempo zuschwang, und lächelte Lea an. »Wir haben es geschafft! Wir sind in Sicherheit!«

»Hurra!«, murmelte Lea monoton. Sie warf sich auf einen der Schreibtischstühle vor den Monitoren und atmete tief durch. Was hätte sie jetzt nicht alles für eine Valium gegeben! Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte sich zu entspannen. »Und nun? Was machen wir jetzt?«

Sie rieb sich die Schläfen. »Valium. Jetzt!«, hätte sie am liebsten geantwortet. Doch stattdessen sagte sie: »Wir machen dasselbe wie jeden Abend. Wir warten ab. In zwei Stunden geht die Sonne unter. Dann drehen die ja sowieso am Rad.« Lea gähnte. »Also, lass uns unsere Kräfte sammeln, damit wir morgen einigermaßen ausgeruht auf dem Schwarzmarkt ankommen.«

»Du hast wohl gute Beute gemacht?«

Lea schluckte die bissige Bemerkung hinunter, die ihr auf der Zunge lag, und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Tasche. Sie lächelte, als sie den angewiderten Gesichtsausdruck Andreas‘ wahrnahm, der das getrocknete Blut auf der Taschenoberseite bemerkt haben musste. Neben dem strengen Geruch der Verwesung.

»Boah! Muss das so stinken?«, fragte er.

»Soll ich dir noch einmal erklären, wie wichtig unsere Tarnung ist? Hast du es den immer noch nicht begriffen?« So gern sie ihn auch hatte, an manchen Tagen benahm er sich wie der letzte Trottel. Wären die Infizierten nicht auf Gehirne aus gewesen, hätte er sich an Tagen wie diesem nicht vor ihnen verstecken müssen! Mit einem tiefen Seufzer stand sie widerwillig auf, kippte den Inhalt der Tasche aus und warf Andreas einen vielsagenden Blick zu. »War das jetzt so schwierig?«

»Ja!« Andreas beugte sich vor, sog die Luft ein. »Bäh! Lea! Du stinkst wie die!«

Lea sparte sich eine Erwiderung, ging zu den Monitoren hinüber und starrte auf die Infizierten, die vom Militär zur Galerie getrieben wurden.

»Was machen die da?« Andreas war hinter sie getreten. »Die treiben die Kranken ja voll in unsere Richtung! Wollen die uns damit einschüchtern?«

Lea nahm sich vor, Max zu danken, dass er ihr wieder einmal neue Beute lieferte.

»Nein. Ich nehm‘ an, sie treiben sie einfach in die Enge. Auf freiem Feld sind die Infizierten schwieriger zu treffen, als wenn sie auf einem Haufen stehen.« Sie schnüffelte. Okay, es war Zeit, sich sauber zu machen. »Mach dir nicht ins Hemd! Es wird schon nichts passieren.« Sie zwinkerte ihm zu, bevor sie in dem Raum verschwand, den sie zum Bad umfunktioniert hatten. Regenwasser, Seife – mehr an Luxus gab es nicht. Und selbst damit musste sparsam umgegangen werden.

»Lea, ich bin nur vorsichtig. Ich mache mir halt Sorgen, wenn du da draußen alleine unterwegs bist. Du musst deswegen nicht gleich gemein zu mir sein!«

»Ich …« Lea prustete, als sie Wasser in den Mund bekam. »Ich bin nicht gemein zu dir! Nicht absichtlich! Ich bin einfach nur furchtbar gestresst. Tut mir leid.« Zum Glück konnte Andreas ihr Gesicht nicht sehen, denn Lea verzog bei der Lüge, die ihr so einfach über die Lippen gekommen war, das Gesicht. Sie war wirklich nicht absichtlich gemein zu ihm, aber es war ermüdend, fast alles alleine tun zu müssen. Für alles alleine verantwortlich zu sein.

Und trotzdem – sie wollte ihn nicht verletzen. Er war das Einzige, was ihr an Familie geblieben war. Der Einzige. Sie drängte bei dem Gedanken mit aller Macht ihre Tränen zurück. Als sie das Kalte Regenwasser abstellte, fühlte sie sich erleichtert und fing fast im selben Moment damit an, sich die Haut warm zu rubbeln. Der vermutlich größte Nachteil, wenn die Zivilisation zusammenbrach, war die mangelnde elektrische Versorgung.

Keine Heizung. Kein warmes Wasser. Lea wollte bestimmt nicht an den Winter denken.

»Er tut mir wirklich leid«, erklärte sie, während sie ihre frischen Sachen anzog. Und jetzt, dachte sie, muss er nur noch antworten: Dann lass mich dir helfen! Ich kann doch mitkommen! Zu zweit können wir mehr tragen und uns besser verteidigen! Du musst nicht alles alleine machen! Ich bin für dich da! Du musst es nur zulassen!

Lea biss sich auf die Lippe. »Nun gut … wenn du unbedingt möchtest, dann soll es so sein. Dann kommst du morgen einfach mit.« Unwillkürlich musste sie lächeln, als sich Andreas‘ Gesicht aufhellte.

»Du siehst müde aus.« Eine gewisse Sorge klang in seinen Worten an. Mit einem Klopfen deutete er ihr, sich neben ihn zu setzen. Das Feldbett, dieses klapprige Etwas, sah tatsächlich mit einem Mal unglaublich verlockend aus. Ihr erster Impuls wollte ihm widersprechen, wollte etwas anderes tun. Doch dann gab sie nach und ließ sich neben ihm nieder. Mit geschlossenen Augen genoss sie seine Hände auf ihrer Haut. Die sanften Berührungen. Die wohltuende Massage.

Schließlich versank sie in einem erholsamen Schlaf.