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Stuttgart 21 – Nadja

Inhalt:

Stuttgart 2021 – die Landeshauptstadt ist abgeriegelt. Niemand kommt hinein, niemand kommt heraus, die Einwohner wurden evakuiert. Nur haben nicht alle Stuttgarter die Stadt verlassen. Nadja kämpft sich als Sechsjährige durch die Reihen der Einsatzkräfte und erhält Hilfe von Tobias. Zumindest scheint es im ersten Moment so. Schnell stellt sich für das verängstigte Kind heraus, dass Tobias vielmehr seinem eigenen Vater zu gefallen versucht, wobei er geradezu unfreiwillig den letzten Willen von Nadjas Vater aushebelt und den Initiatoren des Virus in die Karten spielt. Nadja ist jedoch trotz ihres Alters nicht völlig hilflos.

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Also, bisher war das für mich der schwierigste Teil der Serie. Ich wollte das kleine Mädchen hopps gehen lassen. Ich hatte großartige Pläne, habe meinem inneren Miststück freie Hand gelassen – aber … am Ende … – ja, was :D? Spoiler-Alarm gibt’s jetzt keinen 😉 nur dass ich meine grausame Ader anders ausgelebt hab 😀

Stuttgart 21- Jennie

Inhalt:

Stuttgart 2021 – Jennie, Barkeeperin in einem Irish Pub in Tübingen, ist eine der wenigen Überlebenden aus dem Lokal und will mit Sonja, Isabelle und Alex aus der Stadt fliehen. Allerdings trennt sie sich von der Gruppe in der Hoffnung, ihre Familie zu finden. Im Gegensatz zu Isabelle wird sie aber nicht infiziert, sondern fällt einem Forscher in die Hände, der sie aufnimmt und ihr scheinbar helfen will. Doch ist er der Mensch, der er zu sein vorgibt?

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Was soll ich schon groß sagen :D? Mir macht meine Zombie-Reihe halt echt Spaß 😀 und ich bin echt gespannt, wie euch die einzelnen Figuren gefallen und wer am Ende euer Liebling ist 😉 ich mein, es kommen 10 Bände auf euch zu 😀 da wird doch wohl eine meiner starken Damen überzeugen 😉

Isabelle

»Du hast gesagt, in Stuttgart hat es angefangen?«, fragte Isabelle. Sonja nickte. Alex war ihr über den Rückspiegel hinweg einen seltsamen Blick zu. Isabelle biss sich auf die Unterlippe. Ihr Mann wollte heute nach Vaihingen. Vielleicht hatte Nadja ihn aber doch dazu überreden können, mit ihr im botanischen Garten zu picknicken. Zumindest hoffe Isabelle, nach allem, was im Pub geschehen war, dass ihre kleine Tochter erfolgreich gewesen war. Falls nicht, würde ihr keine andere Wahl bleiben, als … »Dann sollten wir nach Stuttgart gehen. Irgendwie. Und die Wahrheit ans Licht bringen.« Und mir die Möglichkeit geben, nach meiner Familie zu schauen.

»Du meinst, wir brechen in das Labor ein und besorgen die Forschungsunterlagen?« Sonja klang skeptisch und Isabelle konnte mühelos heraushören, dass ihr dieser Gedanke nicht gefiel. »Eigentlich keine schlechte Idee. Aber wie sollen wir da reinkommen? Wie sollen wir das Labor überhaupt finden?«

Isabelle unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Es war nur natürlich, dass Sonja ihren Vorschlag hinterfragte, sie selbst würde ja nicht anders handeln, aber sie hatte jetzt bei Weitem andere Sorgen, als gegen Sonjas Skepsis anzukämpfen. Doch sie würde anders nicht weiterkommen. Fieberhaft überlegte sie sich eine Antwort, als sie unerwartete Hilfe bekam.

»Das sollte kein Problem sein«, bemerkte Jennie zu Isas Erstaunen. »Wenn du den Namen hast, dann wird man das sicher finden. Das Internet vergisst nichts, und wenn der da irgendwie auf diese Pflanze stolz ist, wird man da sicher was finden.«

»Ich bin mir sicher, dass das nicht so einfach ist«, meinte Isa und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, kaum hatte sie den Mund geschlossen. Klasse gemacht, Isabelle. Willst du nun zu deinem Mann oder nicht?

»Sei kein Spielverderber, Isa. Sonja, wie hieß der Kerl?« Isa gelang es nicht, ihre Überraschung zu verbergen, als sie sah, wie Jennie ihr Smartphone in der Hand hielt. Keine Spur von Schock oder Entsetzen in ihrem Gesicht, nein, die Freundin und Kollegin wirkte nahezu rational, emotionslos. Nicht einmal Linda würde so ruhig bleiben, da war sich Isa sicher. Ob sie wollte oder nicht, sie war beeindruckt.

»Baumann.« Kurz und knapp – typisch Sonja. Während Jennie tippte, konnte Isabelle nicht widerstehen. Sie spähte über deren Schulter und zählte innerlich bis zehn, während das Internet lud und lud.

»Na also. Also, er befindet sich im Laboratorium für Lebensmittelforschung und Nahrungstechnologie. Das sollte wohl nicht schwer zu finden sein. Das Gebäude ist direkt am Schloss. Vor ein paar Jahren frisch erbaut.«

Isa nickte, langsam. Sie wusste nicht, wie sie jetzt reagieren sollte, ohne ihre wahren Absichten zu verraten.

»Selbst wenn er die Unterlagen zu der Bacon-Pflanze nicht da hat, werden wir dort Hinweise darauf finden, wo sich das eigentliche Labor befindet.« Jennie klang erstaunlich zuversichtlich, fand Isa. Angesichts der Lage vielleicht etwas zu zuversichtlich, aber jeder wie er mochte. Als Alex abbog, wusste Isa, sie musste handeln. Musste sich überzeugen, ob Mann und Kind zu Hause waren.

Alex, du musst hier andersrum abbiegen. Ich muss nach Hause!« Sie beugte sich vor, ihr Gesicht auf Höhe seines Kopfes. »Ich wohn da vorne. Wir müssen meinen Mann und meine Tochter mitnehmen.« Oder nachschauen, ob sie Zuhause sind. Wenn ja, dann muss ich nicht mit nach Stuttgart. Wenn nein, naja, dann hab ich wohl keine andere Wahl.

»Dafür haben wir keine Zeit. Schreib ihnen. Schreib ihnen und sag ihnen, dass sie aus der Stadt fliehen sollen.«

»Aber zu mir können wir doch, oder? Ich will wenigstens noch ein, zwei Sachen mitnehmen. Glücksbringer, wenn du so magst.« Jennie drängte sich neben Isa, stieß sie etwas zur Seite. Isa unterdrückte ein Fauchen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Leute, so sehr ich euch auch verstehe, aber dafür bleibt keine Zeit. Das geht nicht. Wenn die Lage so bleibt, können wir ja wieder zurückkehren und alles holen. Aber Jennies Plan ist gut. Wir müssen nach Stuttgart. Wir müssen die Öffentlichkeit über alles informieren. Und ich weiß auch schon, wer uns dabei helfen wird.«

Isa wusste, dass Sonja recht hatte. Ihr war auch klar, dass Sonja auf ihre Hilfe baute. Stuttgart war abgeriegelt – nach den Ereignissen im Pub fiel ihr das nicht mehr so schwer zu glauben. Sie verstand auch dieses Hin- und Herfahren, auch wenn sie es für absolut schwachsinnig hielt. Da hätte es sicher auch einfachere Wege gegeben, die von Sonja gebunkerten Sachen mitzunehmen. Nur Esther – das war für Isa der einzig wirklich nachvollziehbare Grund für das ganze Chaos. Es war viel zeitaufwendiger, erst zu Sonja, dann zum Pub zu fahren, doch sie hielt den Mund. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um zu streiten oder zu diskutieren. Jetzt musste sie schnell schalten. Jetzt musste sie sich ganz schnell etwas einfallen lassen. Isa ließ sich in ihren Sitz zurücksinken. Alex würde nicht zu ihr fahren, das war sicher, doch sie konnte auch nicht bei ihnen bleiben. Ja, natürlich war sie auch der Meinung, die Wahrheit müsse an die Öffentlichkeit geraten, aber sie wollte erst einmal ihre Familie in Sicherheit wissen. Danach war sie bereit, jeder Zeitung, jedem Reporter Rede und Antwort zu stehen.

Die Ampel wechselte von Grün auf Rot, Alex bremste und hielt pflichtbewusst an. Isa schloss für einen kurzen Augenblick die Augen, schluckte – und sprang aus dem Auto. Es war vielleicht dumm. Es war vielleicht unverantwortlich. Aber es war die einzige Möglichkeit, die Isa sah, um zu ihrer Familie zu gelangen. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, ignorierte sie das schlechte Gewissen, das ungute Gefühl, das sich in ihr ausbreitete und rannte. Sie wich den hupenden Autos aus, rannte über die vierspurige Straße. Jennie schien ihrem Beispiel zu folgen, wie ein weiteres Knallen einer Tür zeigte. Sie taten also alle genau das, was man in solchen Situationen nicht tun sollte: Sich trennen und einzeln durchschlagen. Aber Isabelle konnte nicht anders. Ihre Familie war ihr nun einmal wichtiger.

Sie schlüpfte durch die Studentengruppen hindurch, wich flink einzelnen Menschen aus. So friedlich, so ruhig – keiner von ihnen ahnte von der Gefahr, die ihnen drohte. Missbilligende Blicke, verärgerte Ausrufe – Isabelle scherte sich nicht darum, was man von ihr hielt. Sie rannte einfach weiter. Musste weiterrennen. Stehen bleiben würde zu viel Zeit kosten. Wertvolle Zeit, die ihre beiden Liebsten vielleicht nicht mehr hätten.

»Ey! Pass doch auf!«

Isa strauchelte. Für einen kurzen Augenblick war sie abgelenkt gewesen. Hatte einen Skaterboarder übersehen. Sie stolperte einige Schritte, brauchte einen Moment, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden, sich wieder zu fangen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung lief sie weiter. Kümmerte sich nicht darum, um ob er sich verletzt hatte. Ob ihm was passiert war. Die ein, zwei Kratzer würden sein kleinstes Problem sein, wenn die Kacke richtig anfing zu dampfen. Autos hupten, als sie erneut über die Straße hetzte. Die Einbahnstraßen und nicht sonderlich klug geschalteten Ampeln, die zu oft von Rot auf Grün wechselten, erschwerten ihr den Heimweg. Doch schlussendlich hatte sie das Hochhaus erreicht. Schweiß lief ihr in Strömen über Stirn und Rücken. Die kühle Luft im Treppenhaus ließ sie frösteln, obwohl es für deutsche Verhältnisse relativ gutes Wetter war und die Temperatur hoch. Isa sprang die Stufen hinauf, mehrere auf einmal, wusste, viel Zeit blieb ihr nicht, wenn die beiden wirklich nicht in Tübingen waren. Ihre Hand zitterte, als sie ihre Wohnungstür aufschloss. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, das Blut rauschte in den Ohren – Isabelle war sich nicht sicher, ob sie nicht gleich ohnmächtig werden würde. Als die Tür endlich aufsprang, war das Erste, was ihr auffiel, das blinkende, rote Licht des Anrufbeantworters. Auch wenn es altmodisch war, Bashir hatte sich durchgesetzt. Er mochte Anrufbeantworter und hinterließ ihr immer wieder kleine, süße Nachrichten, doch etwas sagte Isa, dass diese Nachricht nicht so süß sein würde, wie sonst. Ihr Atem ging stoßweise, sie biss sich auf die Unterlippe, als sie den Knopf drückte und die Nachricht abhörte.

»Schatz, Nadja und ich sind in Vaihingen. Meine alte Professorin hat uns zum Kaffee eingeladen, du weißt doch, wie sehr ich Valerie Baumann schätze. Aber wir sind zurück, bevor du Feierabend hast – und dann haben wir eine Überraschung für dich. Wir lieben dich, Superfrau!«

Isa lächelte, auch wenn ihr nicht wirklich danach war. Ja, die Nachricht war nicht wie sonst voll süßer Liebesbekundungen, sondern mehr informativ, aber leider nicht so, wie sie gehofft hatte. Die beiden waren also mitten in der Gefahrenzone. Das war definitiv nichts, was sie erfreute, aber sie wusste auch, dass Bashier, ihr geliebter Ehemann, seiner alten Ägyptisch-Dozentin nichts abschlagen konnte. Nicht, nachdem sie ihn voreinigen Jahren in Ägypten an der Forschung an einer alten Pyramide beteiligt hatte und sie dort einen sagenhaften Fund alter Schriften gestoßen waren. Seitdem vergötterte Bashier Valerie Baumann Bashier. In schwachen Momenten wurde sie manchmal eiferrsüchtig, doch dann hinterließ ihr Bashier wieder eine süße, liebe Nachricht und alles war vergessen. Doch nun, nun war er mit Nada bei Valerie. In Vaihingen. Unmittelbar an der Sperrzone. Isabelle schluckte, atmete tief durch. Sie durfte jetzt nicht den Kopf verlieren. Sie wählte die Kurzwahltaste ihres Handys, unter der sie Bashiers Nummer eingespeichert hatte, und wartete. Freizeichen um Freizeichen, doch ihr Mann ging nicht ran.

»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Höflichkeit!«, fauchte sie und stecke ihr Handy wieder ein. Gut, dann muss ich wohl einfach auf gut Glück losfahren und schauen, dass ich dich erreich, dachte sie, griff nach ihrem Autoschlüssel und verließ die Wohnung. Erneut stürmte sie aus dem Haus und kaum hatte sie ihr Auto erreicht, wählte sie erneut seine Nummer, das Handy mit fahrigen Bewegungen in die Freisprechhalterung klemmend.

 

 


Kapitel 2

 

Das Freizeichen nervte sie. Dieser monotone Ton zerrte an ihr, während sie im Schneckentempo aus der Straße fuhr. Wieder einmal bewies Tübingen, dass die stadteigene Straßenführung nichts für Ungeduldige war oder Menschen, die es eilig hatten. Isa knirschte mit den Zähnen, krallte sich am Lenkrad fest, während sie versuchte, dem Drang zu widerstehen, die Fahrer vor ihr anzuschreien und mit einem regelrechten Hupkonzert vor sich herzutreiben. Erfahrungsgemäß ging es dann zwar auch nicht schneller, aber sie konnte zumindest ihrem Unmut freien Lauf lassen. Das Freizeichen tönte laut durch ihr Auto und sie zuckte zusammen. Isabelle seufzte, drehte am Radioknopf. Suchte einen Sender, der dieses nervige Tuten ablösen und ihre Nerven nicht weiter strapazieren würde. Als die Rolling Stones durch den Innenraum ihres Peugot 306 dröhnten, entspannte sie sich etwas. Sie legte auf und beschloss, erst dann wieder zu wählen, wenn sie Tübingen hinter sich gelassen hatte. Zwanzig Minuten müssten reichen, damit Bashier eine Ausrede finden und rangehen konnte. Das Warten trieb sie jedenfalls in den Wahnsinn. Die Rolling Stones schmetterten gerade ihren »Doom and Gloom«-Song, als sie einer schnitt und ohne zu blinken von der äußersten rechten Spur einfach vor sie fuhr und Isabelle nichts anderes übrig blieb, als eine Vollbremsung hinzulegen.

»Du Mongo!« Ihr Herz sprang ihr fast aus der Brust, das Hupen der Fahrer hinter ihr brachte sie allerdings wieder auf Spur. Fauchend gab sie wieder Gas, schaltete und fuhr weiter – immer noch langsam.

 

Sie streckte gerade den Finger aus, um noch einmal die Nummer ihres Mannes zu wählen, als die leise, basslastige Musik zu einem sehr lauten Getöse wurde, das die Nachrichten ankündigte. Isa fluchte. Sie vergaß immer diese automatische Umschaltfunktion auszumachen und erschrak jedes Mal, wenn die Traffic-Funktion griff und die Musik von sehr lauten Nachrichtensprechern mit betont lockeren Sprüchen abgelöst wurde.

»So eben haben wir erfahren, dass es in Tübingen zu Aufständen gekommen sein soll. Natürlich waren wir von SWR3 vor Ort und haben nachgefragt. Wir haben Katja, die direkt am Pub steht, in der Leitung. Katja, was ist da passiert?« Die Stimme des jungen Mannes, dessen Namen sie sich einfach nie merken konnte, klang überaus fröhlich und aufgedreht. »Wie ist denn die Lage in Tübingen?«

»Nun, Kai, hier sieht es echt abenteuerlich aus. Eingeschlagene Fenster, zerbrochene Stühle – Blut. Krass. Ich stehe hier neben dem Chef des Restaurants, der genauso schockiert ist wie ich. Herr Wolf, können Sie mir sagen, was hier geschehen ist?«

Isa hob eine Augenbraue. Das Ganze war so surreal, dass jeder Künstler neidisch werden würde. Zumindest die zahlreichen verkorksten Hipster-Autoren im Brechtbau.

»Das war eindeutig ein Aufmarsch, ein Aufstand. Das waren eindeutig die Leute von Natureen, die mal wieder gegen unsere Burger-Karte gehetzt haben. Die meckern alle paar Wochen und drohen mit einem Aufmarsch, einer Demo. Die haben schon öfters randaliert oder Scheiben eingeworfen.«

Isabelle runzelte die Stirn, als die tiefe Stimme ihres Chefs aus den Boxen drang. »Chefchen, das ist völliger -«

»Die waren das eindeutig. Haben unsere Gäste angegriffen. Meine Angestellten haben sich versteckt, sind geflüchtet. War alles ziemlich gewalttätig.«

»Wie erklären Sie sich das, dass alles voller Blut ist und keine Verletzten gefunden wurden? Dass Gerüchte rumgehen, dass man zahlreiche Leichen herausgetragen hat?«

Gut gesagt, kleine Moderatorin. Isabelle drehte das Radio lauter.

»Das ist nur aufgebauscht. Natureen ist gefährlich, aber niemand ist zu Schaden gekommen. Vor allem droht keinerlei Gefahr, bei uns zu essen. Wir werden natürlich alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen, damit so etwas nicht noch einmal passieren kann. Aber Natureen muss gestoppt werden!«

Ach, Chefchen. Wer hat dir dieses Märchen erzählt?

»Es wird ja vermutet«, konnte sie die Moderatorin, Katja, sagen hören, »dass der Aufstand was mit der Abriegelung Stuttgarts zu tun hat. Was sagen Sie denn dazu?«

»Ich bin nur der Besitzer des Pubs. Ich habe von einer Abriegelung nur aus der Zeitung gelesen – warum sollte es etwas mit diesen Lebensmittel-Terroristen zu tun haben?«

Isabelle schmunzelte. Ja, da hatte er recht. Der Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen war mehr als dürftig. Wer auch immer diesen Stuss verzapft hatte, wusste genau, was er tat. Nun würden alle Natureen noch skeptischer betrachten, als sie es ohnehin schon taten. Isa fand, sie hatte genug gehört. Als die Moderatorin wieder eine Vermutung äußerte, wechselte sie zurück auf ihre Rolling Stones und wählte endlich erneut die Nummer ihres Mannes. Das erneute Tuten des Freizeichens ließ sie mit den Zähnen knirschen. Gerade, als sie wieder aufgeben wollte, knackte es in der Leitung und Bashiers Stimme war zu hören.

»Baby, was ist los?«

»Schatz, seid ihr noch in Vaihingen? Ist alles in Ordnung bei euch?« Isabelle verschwendete keine Zeit mit Smalltalk. Nicht jetzt. Nicht heute. »Stuttgart ist abgeriegelt – haben sie Vaihingen auch schon abgesperrt? Schatz, nimm Nadja und komm da weg!«

»Ich verstehe nicht. Ja, die Situation in Stuttgart scheint ernst, aber Valeries Mann ist schon mit der Lösung beauftragt. Wir sind hier in Sicherheit. Baby, warum rufst du an? Ist etwas passiert? Und warum willst du, dass wir hier weggehen?«

»Es gab … eine Art Virenbefall im Pub. Das ist alles nicht normal. Wie in diesen schlechten Horrorfilmen. Ich bin auf dem Weg zu euch, ich hol euch ab. Dann fahren wir weit weg. Weit, weit weg.«

»Du arbeitest zu viel. Du siehst schon Dinge …«

»Bashier. Ich meine es ernst. Wir müssen weg aus Baden-Württemberg. Stuttgart war sicher erst der Anfang. Du willst doch auch, dass Nadja in Sicherheit aufwächst, oder?«

»Baby -«

»Nein. Nein, ich hol euch. Bleibt, wo ihr seid. Wenn ihr jetzt auf die Straßen geht, weiß ich nicht, ob sie euch nicht doch auflesen und einsperren. Ich hol euch da raus. Aber versprich mir, dass du auf mich warten wirst. Dass du nichts Dummes tust!«

»Isabelle, übertreibst du es nicht ein bisschen? Was ist vorgefallen? Etwas muss doch passiert sein, so wie du dich aufführst.«

Isabelle schluckte. Wie sollte sie ihm davon erzählen, ohne als völlig verrückt abgestempelt zu werden? Auch Liebe hatte ihre Toleranzgrenzen und bei Wahnsinn war meist eine solche Grenze erreicht. »Nun, dieser Ausbruch, dieses Virus – die Leute sind … wir haben ein neues, veganes Gericht auf die Karte genommen. Und als die das gegessen haben, ist die Hölle losgebrochen. Die sind praktisch über uns hergefallen. Haben uns angegriffen, uns gebissen. Die haben Linda und Kathi getötet. Wie Tollwütige! Schatz, wir müssen hier weg!«

»Bist du dir sicher?«

»Ich hab es doch genau gesehen! Und ich weiß, was Sonja erzählt hat. Das alles ergibt Sinn. Das ist viel zu gefährlich! Wir müssen hier wirklich weg, bevor etwas noch Schrecklicheres passiert!«

»Nun … das würde die Polizisten hier erklären. Wenn eine mutierte Form der Tollwut umgeht. Valerie und ich haben in den Aufzeichnungen aus der Pyramide von ähnlichen Ereignissen gelesen. Aber – vielleicht ist das auch nur eine neue Droge, die völlig unkontrollierte Wirkungen hat.«

Isabelle schüttelte den Kopf. Manchmal machte er es ihr echt schwer, nicht vor Frust zu schreien.

»Schatz, ich komm dich holen. Irgendwie schaffen wir es da raus. Wir müssen einfach weg. Zu unserem Schutz. Zu Nadjas Schutz. Aber lass dir nichts anmerken. Ich will nicht, dass meine Süße sich fürchtet. Und … bitte, bleibt bei den Baumanns. Ich bin so schnell wie möglich da!«

»Schatz -« Doch sie konnte die Resignation in Bashiers Stimme hören. Er würde tun, worum sie ihn gebeten hatte. Doch wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich davor, was geschehen würde, wenn Bashier mit Valerie darüber sprach. Sie traute der schrulligen Dozentin durchaus zu, seltsame heidnische Rituale durchzuführen oder mit ihrem Mann über alles zu sprechen. Dann würde dieser Vaihingen wirklich abriegeln lassen. Isabelle hauchte ein paar Küsse ins Telefon, bevor sie auflegte.

»Egal, was passiert. Ich beschütze euch!«, murmelte sie. Sie würde sich ihre Familie, für die sie so lange gekämpft und auf die sie so lange gewartet hatte, nicht wegnehmen lassen. Von niemandenem. Schon gar nicht seltsamen, durchgeknallten Kannibalen. Als sie endlich das Stadtschild Tübingens passierte, trat sie das Gaspedal durch und überholte die Fahrzeuge vor ihr. Entschlossen, sich von nichts aufhalten zu lassen, verlangte sie ihrem Auto alles ab – und genoss es.

 

 


Kapitel 3

 

Kaum war sie von der Autobahn runter Richtung Vaihingen abgebogen, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Die Straße war wie ausgestorben. Gut, dass niemand Richtung Stuttgart fuhr, war ihr natürlich klar. Abgeriegelte Städte waren nicht gerade beliebe Ziele und auch nicht sonderlich einladend. Doch dass ihr kein Auto aus Vaihingen entgegen kam, verwunderte und beunruhigte sie zugleich. Sie drosselte die Geschwindigkeit, fuhr gemächliche 80, auch wenn es in ihrem Fuß juckte, das Gaspedal durchzudrücken. Geduld war angebracht, auch wenn sie nicht wusste, wie sie die Stärke aufbringen sollte, geduldig zu bleiben. Auf Französisch bis zehn zählend fuhr sie weiter, das Herz flatterte, das Blut rauschte in ihren Ohren. Es fiel ihr nicht leicht, doch sie durfte jetzt keine Aufmerksamkeit erregen. Wenn sie jetzt unangenehm auffiel, konnte sie das alles kosten. Doch weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Das mulmige Gefühl in ihrem Bauch verstärkte sich. Isabelle schluckte. Es fiel ihr schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren. Als sie um eine Kurve bog, wäre sie beinahe in die Bremsen gestiegen. Der Ortsrand von Vaihingen war noch ein gutes Stück entfernt und nicht mehr sichtbar, was seltsam war, denn eigentlich sollte sie von hier aus schon einen guten Blick auf die Häuser haben. Stattdessen starrte sie auf ein riesiges Aufgebot an Polizeiautos, Sprintern und Hubschraubern. Autos, unzählige verschiedene Modelle in allen Farben parkten vor großen, weißen Zelten, wie man sie eigentlich nur vom Wasen kannte. Isa schluckte erneut trocken. Angst kroch ihr den Nacken hinauf. Das war nicht gut. Das war gar nicht gut. Weit vor den Zelten standen mehrere Polizeiautos, nebeneinander, stellenweise kreuz und quer. Es sah verdächtig nach einer Blockade aus. Isabelle fluchte.

Sonja

Das grelle Neonlicht und die vielen verschiedenen Gerüche der neuartigen Lebensmittel, die vorgestellt wurden, vermischten sich zu einer eigenwilligen Komposition, die ihr in der Nase stach. Sonja kniff die Augen zusammen und versuchte, möglichst flach und durch den Mund zu atmen. Hätte sie Sarah nicht versprochen, sie auf die Intergastra zu begleiten, wäre ihr das alles erspart geblieben und sie hätte sich einen schönen Tag mit ihrem Freund machen können. Aber nein, um den Pub attraktiver zu gestalten und mehr Gäste anzulocken, war sie mit Sarah auf die Gastronomie-Messe gegangen, da neue, vegane Gerichte entdecken und die steigende Nachfrage bedienen wollte. Sonja schüttelte den Kopf. Bisher hatten sie nichts Interessantes oder ansatzweise Essbares gefunden. Zumindest nichts, was sie den Gästen persönlich vorgesetzt hätte.

»Da! Schau mal!« Sarah griff nach ihrem Arm und deutete wild auf einen Stand, an dem sich eine beachtliche Menschenmenge versammelt hatte. »Lass uns mal da rüber gehen. Eine ganze Theke voll von veganem Fleisch. Das muss ich sehen!«

Sonja verdrehte die Augen. Es handelte sich wahrscheinlich sowieso nur um eine Art Tofu mit Schweinefleischgeschmack, also nichts Weltbewegendes. Aber Sarah zwängte sich bereits durch die Menschenmengen hindurch und schubste sie erbarmungslos zur Seite, weswegen ihr nichts anderes übrigblieb, als sich mit einem schwachen Lächeln bei ihnen zu entschuldigen und ihr zu folgen.

»Schau mal.« Sarah drückte Sonja eine Broschüre in die Hand. »Bacon-Pflanze. Witziger Name.«

Sonja hob eine Augenbraue und betrachtete die leuchtend bunte Abbildung auf dem Flyer. Die Pflanze hatte etwas Unwirkliches an sich: rote Blätter mit weiß-grüner Faserung, ein einzelner, dicker Stamm, knotenartige Auswüchse. Die Ähnlichkeit zum Bacon war vorhanden – mit viel Fantasie. Unter appetitlich verstand sie jedoch etwas anderes. Kurz überflog sie die Informationen, die ihr reißerisch weißmachen wollten, dass diese Pflanze der Durchbruch der Menschheit darstellen würde und alle Probleme löste. Sonja schnaubte verächtlich – das klang einfach zu absurd, um wahr zu sein.

»Das wäre doch der Hammer! Damit könnten wir unseren wahren Wert unter Beweis stellen, wenn wir diese Pflanze in den Pub mitbringen. Chefchen würde uns den Boden unter den Füßen vergolden!« Sarahs Stimme überschlug sich beinahe vor Eifer. Sie hatte Blut geleckt, das konnte Sonja nicht nur hören, das konnte sie sehen. Die Augen der Freundin waren geweitet, glänzten. Na klasse. Das konnte nur eines bedeuten: Sarah würde jetzt alles daran setzen, eine dieser Pflanzen zu bekommen. Ob ich mich schon mal vorsichtshalber bei den Ausstellern entschuldigen soll? »Wir könnten damit Werbung machen. Wir könnten damit dieser komischen, veganen Eisdiele zeigen, dass es auch anders geht. Wir wären endlich das angesagteste Restaurant der Stadt.«

Dann dürfte dein Kerl aber nicht mehr kochen, das kann er nämlich nicht, schoss es Sonja durch den Kopf, doch sie verbot sich diesen Gedanken. Jannis war zwar nicht die hellste Kerze auf dem Kuchen, dafür ertrug er Sarahs Launen – somit waren sie quitt. Die Küchencrew bekam ihre verdiente Ruhe und Sarah behielt ihren persönlichen Punchingball.

Jemand stieß sie an und sie taumelte. Sonja musste nicht erst fragen, sie wusste, dass Sarah sich durch die Menschenmassen drängelte, um ihren Willen zu bekommen.

»Ey, pass doch auf!«, fuhr sie ein verschwitzter, gehetzt aussehender Mann an. Dicke Augenringe, so dunkel, dass sie schon schwarz wirkten, unterstrichen die unfassbare Wut in seinem Blick. Sonja schluckte. Etwas an diesem Blick stimmte nicht, und sie stammelte eine Entschuldigung. Doch er schien sie nicht zu hören oder wollte sie nicht hören. Seine Aufmerksamkeit richtete sich jedoch sofort wieder auf den Stand, er presste die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. In Sonja wuchs die Neugier, etwas drängte sie dazu, herauszufinden, was dort vor sich ging. Der Stand, der Forscher – irgendetwas hatte seinen Zorn geweckt. Aber was? Sollten nicht alle in Begeisterungsstürme ausbrechen, jetzt, da es veganes Fleisch gab, das nicht nur so aussah, sondern vermutlich auch nach Tier schmeckte, aber keins war? Bevor sich Sonja allerdings den Kopf darüber zerbrechen und ihre Neugier befriedigen konnte, schrillten Sarahs Worte in ihren Ohren. Die Aufregung ließ die Stimme der Freundin mehrere Oktaven höher klingen. Der Forscher, auf den ihre Freundin einredete, wirkte überfordert, er suchte herum, wirkte gehetzt und wollte anscheinend die nächstbeste Lücke im Besucherstrom nutzen, um zu verschwinden. Er hatte offenbar keine Ahnung, wie er mit dem Redefluss Sarahs umgehen sollte.

Sonja musste kichern. »Sarah, jetzt lass den armen Mann doch auch mal mit den anderen hier sprechen.« Sie hatte beschlossen, den Messeteilnehmer zu retten und ihre Freundin zu stoppen. »Du bist ja nicht die Einzige, die sich für diese ominöse Bacon-Pflanze interessiert.« Kaum hatte sie den Mund geschlossen, schien sich der Forscher auf sie zu konzentrieren. Seine dunklen Augen starrten sie eindringlich an, so eindringlich, dass Sonja den Drang verspürte, mehrere Schritte nach hinten zu machen, um von ihm wegzukommen. Doch sie musste Zeit schinden. Sie musterte den Laborkittelträger: Das blütenreine Weiß des Kittels leuchtete im Neonlicht, die dunklen Augen verrieten nicht, was er wirklich dachte. Dazu verkniffene Mundwinkel, ein Lächeln, das mehr als nur aufgesetzt wirkte, und etwas, das grundlegend abstoßend war. Etwas störte Sonja gewaltig. Sie konnte nur nicht sagen, was es war. Doch sie hatte das Gefühl, ihm nicht trauen zu können. Was vielleicht auch einfach nur daran liegen konnte, dass sie allen Forschern mit Misstrauen begegnete.

»Interessieren Sie sich auch für die Bacon-Pflanze?« Seine Stimme jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Emotionslos, berechnend – zu glatt. »Ominös! Köstlich!« Er lachte, zeigte dabei so viele Zähne, dass Sonja unwillkürlich schauderte. Sein Lachen war zu aufgesetzt, um sie nicht zu gruseln. »Gestatten Sie mir, Ihre Zweifel und Fragen zu klären?«

Offensichtlich versuchte er, Sarah zu entkommen und im gleiche Zug mit Bauernfängerei beginnen.

»Stell dir die Möglichkeiten vor! Was das für uns bedeuten könnte!« Sarah rüttelte an Sonjas Arm. »Wir wären der It-Laden, der Szeneladen schlechthin. Die werden uns die Bude einrennen! Wir brauchen diese Pflanze!«

»Wir wissen noch nicht einmal, ob die überhaupt gesund ist oder wie sie funktioniert«, murmelte Sonja. »Die kann auch der gefährlichste Dreck sein, den wir jemals finden werden.«

»Aber, aber!« Wieder dieses falsche, künstliche Lachen. »Diese Pflanze ist ungefährlich, was soll sie denn schon ausrichten? Sie bietet die perfekte Möglichkeit für unsre veganen Freunde, Fleisch zu genießen, ohne dass ein Tier dafür sein Leben lassen musste. Sie ist wirklich rein pflanzlich und völlig ungefährlich.« Er schnipste – eine Geste, die Sonja in jeder Hinsicht hasste. Ein junges Mädchen, höchstens achtzehn, huschte schnell hinter dem Stand hervor, die Hände um einen großen, wuchtigen Topf gepresst. Die Pflanze, die darin wuchs, sah noch abstoßender aus als in der Broschüre. Ein einzelner, daumendicker Stamm wuchs leicht schräg in die Höhe, knotig und dunkelgrün. Äste, anders konnte Sonja es nicht nennen, standen nahezu im rechten Winkel davon ab, erinnerten sie an Finger. Die Blätter in ihrer seltsam weiß-grünlich-roten Beschaffenheit waren dick und fleischig und ein seltsamer Geruch ging davon aus. Eine seltsame Faszination ging von der Pflanze aus. Obwohl sie sich auch abgestoßen fühlte, konnte sie nicht widerstehen und streckte eine Hand danach aus, was offensichtlich für den Forscher ein Zeichen war, sie mit allen Mitteln überzeugen zu wollen. »Die Vorteile der Bacon-Pflanze sind phänomenal und einzigartig. Allein dieses Exemplar reicht aus, um« – er hielt inne, zählte die Blätter – »an die zwei Dutzend Mäuler zu stopfen und Veganer glücklich zu machen. Und am nächsten Tag, dank unseres Spezialdüngers, ist der Strauch wieder voll. Alles ungefährlich, das verspreche ich Ihnen.« Mit einem Nicken forderte er Sonja auf, die Blätter zu berühren. Während ihre Finger über die wulstige Oberfläche strichen, wurde Sonja mit Fakten überschüttet, was diese Pflanze alle könne und zu welchen Ergebnissen man gekommen wäre. Dabei erwähnte der Laborkittelträger immer wieder diesen Spezialdünger, was sie mehr als stutzig machte.

»Also, ich will ja jetzt nicht spießig klingen, aber dieser Spezialdünger – ich glaube nicht, dass das so koscher ist.« Sonja zog ihre Hand zurück, verschränkte die Arme vor der Brust. Sie konnte den bohrenden Blick Sarahs spüren, ignorierte die Freundin aber. »Das ist mir echt zu genbearbeitet. Das kann nicht gesund sein. Sorry, aber damit möchte ich mir ungern die Finger schmutzig machen.«

»Ich kann Ihre Skepsis verstehen, aber glauben Sie mir, wir haben genügend Tests durchgeführt, um sicherzustellen, dass der Dünger und auch die Pflanzenbestandteile für den menschlichen Körper nicht schädlich sind. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Wirklich. Die Daten lügen nicht.«

»Das ist alles eine Lüge!« Sonja fuhr mit einem unterdrückten Kreischen zusammen. Der Mann, der ihr zuvor bereits aufgefallen war, hatte wohl die Beherrschung verloren.

»Das ist alles eine Lüge!», schrie er. »Genmanipulation ist alles, aber nicht gesund!« Seine Stimme war laut, übertönte den Messelärm. »Wir haben immer wieder versucht, Einsicht in die Forschungsunterlagen und Ergebnisse zu bekommen, aber es wurde uns immer verweigert. Es gibt keine eindeutigen Ergebnisse. Niemand kann sagen, ob die Wirkstoffe des Düngers die Pflanze nicht doch so beeinflussen, dass sie schädlich für die DNS des Menschen sind.«

Sonja nickte langsam. Der Mann sprach aus, was sie befürchtet hatte. Der Schriftzug auf dem Pullover des Mannes leuchtete, verriet, dass er Mitglied der Gruppe »Natureen« war. Natureen, Natureen – Sonja kratzte sich am Ohr. Irgendetwas sagte ihr der Name, doch sie kam nicht sofort drauf.

»Ich gehöre zu Natureen«, rief der Typ im Kittel. »Wir beschäftigen uns mit nachhaltigem Anbau von Gemüse und Obst und wollen die Bevölkerung über die Gefahren, genmanipulierter, überzüchteter Lebensmittel aufklären. Dazu gehört auch die Bacon-Pflanze. Diese Pflanze ist nicht ausgereift genug, um jetzt schon als Nahrungsquelle zu dienen!«

»Das täuscht. Der Verzehr ist völlig unbedenklich möglich«, behauptete die junge Frau, die die Pflanze noch immer umklammert hielt. »Es ist alles getestet worden. Weder der Dünger noch die Stoffe in den Blättern sind für die menschliche DNA schädlich oder zerstören das Biosystem. Keine Nebenwirkungen, keine Schäden. Wir würden niemals ein Menschenleben gefährden!«

»Und warum wurde uns keine Einsicht in die Unterlagen gewährt? Warum hat man uns stets abgewiesen? Warum uns vom Gelände gejagt? Wenn diese Forschungsergebnisse wirklich so ausgefallen sind, wie man der Öffentlichkeit weismachen will, dann wäre es doch kein Problem gewesen, sie Natureen zukommen zulassen!«

Wo er recht hat, hat er recht, schoss es Sonja durch den Kopf. Mit einem Mal war ihr wieder eingefallen, wer oder was Natureen war. Natur und Green zu einem Wort verschmolzen, ein etwas klingenderer Name als der ursprüngliche – Naturgut. Natureen war so etwas wie die Stiftung Warentest – nur eben für Lebensmittel – und ihre Natürlichkeit oder Verträglichkeit in Bezug auf genmanipulierte Lebensmittel. Was sie absegneten, war auch wirklich gut. Dass die Bacon-Pflanze vor ihnen abgeschirmt worden war, verhieß nichts Gutes und verstärkte nur das sehr, sehr miese Gefühl.

»Wir wollten eben nicht, dass unsere innovative Entdeckung zum falschen Zeitpunkt publik gemacht wird«, erklärte die Assistentin, die noch immer den Blumentopf umklammert hielt. »Wir haben nicht umsonst so viel Zeit und Geld in diese Forschung gesteckt, um dann mit Plagiaten kämpfen zu müssen. Wir wollten entscheiden, wann wir damit an die Öffentlichkeit gehen und nicht Natureen. Immerhin stecken viele Jahre Arbeit und eine Menge Forschungsgelder hinter dieser einzigartigen Pflanze. Das wollten wir uns einfach nicht kaputtmachen lassen.« Selbst die junge Frau schien zu merken, dass ihre Erklärung mehr als nur dürftig klang und vielmehr als halbherzige Entschuldigung durchging. Sonja tat das Mädchen leid, aber sie hatte mit Sicherheit gewusst, auf was sie sich da einließ. Und nun, nun musste sie eben dafür geradestehen.

»Ich versteh die ganze Aufregung nicht«, grummelte Sarah, den Blick noch immer fest auf die Pflanze gerichtet. »Der sagt doch, das Zeug ist harmlos. Soll halt Natureen schauen, dass sie ein Exemplar bekommen und ihre bescheuerten Tests durchführen. Ich glaub dem das. Die kann doch nicht wirklich so gefährlich sein, wie sie hier dargestellt wird. Dramaqueens. Wollt halt auch euer Stück Aufmerksamkeit.«

»Und du siehst natürlich nur den Nutzen und das Wohl unserer Gäste und nicht etwa den dicken Bonus, wenn wir das Ding in den Pub geschleift bekommen«, sagte Sonja. »Ich kenn dich doch. Menschenfreundlich wie eh und je, selbstlos bis zur Aufgabe.« Sie schüttelte den Kopf. Sarah sah nur den Profit. Den Vorteil. Wenigstens das würde sich nie ändern.

»Ach, du bist blöd.« Sarah stieß die Freundin mit dem Ellbogen in die Seite. »Wir müssen …« Weiter kam sie nicht. Ein plötzlicher Aufruhr unterbrach sie. Neugierig reckten die beiden Freundinnen den Hals. Vier Securitymänner liefen im Stechschritt den Gang entlang, steuerten direkt auf den Stand zu. Ihre Gesichter waren grimmig und kalt. Ein klein wenig aufgeblasen, wenn sie ehrlich war. Die Schlagstöcke gezückt und mehr Muskeln, als dass sie gut ausgesehen hätten. Sonja konnte nicht anders: Sie musste einfach kichern.

»Sie kommen mit uns«, erklangen ihre Stimmen unisono und griffen nach den Armen des Natureen-Sprechers. Zwei von ihnen hielten ihn fest, die anderen beiden wurden von den Standbetreibern über das Geschehen informiert. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, führten sie ihn ab, ignorierten dabei seine Proteste. Als er sich wehrte, schlug einer der Vier ihm mit dem Schlagstock auf den Kopf. Sonja runzelte die Stirn. Die Reaktion der Sicherheitsleute schien ihr einfach zu überzogen, um normal zu sein. Es musste etwas Großes im Gange sein. Etwas, das mit dieser Pflanze zu tun hatte. Natureen. Muss ich …

»Sonja!«

 

  • Kapitel 2

 

Sonja schloss für einen Moment die Augen. Sarahs Stimme hatte sie aus dem Konzept gebracht.

»Sonja, ich schwöre dir, wir gehen nicht eher hier weg, bis wir dieses Ding haben!«

Ist es zu spät, um mich umzudrehen und so zu tun, als würde ich dich nicht kennen? Sonja biss die Zähne zusammen, war bemüht, die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, zu schlucken.

»Meine Damen und Herren, ich entschuldige mich vielmals für diese unnötige Unterbrechung. Wir werden sogleich mit der Demonstration fortfahren, wenn sich alles ein wenig beruhigt hat.« Das künstliche Lächeln des Forschers verursachte bei Sonja Zahnschmerzen. »Bitte scheuen Sie sich nicht, Fragen zu stellen oder Zweifel zu äußern. Wir werden all Ihre Einwände aufnehmen und unsere Erkenntnisse an Sie weitergeben. Treten Sie näher! Beseitigen wir die Unklarheiten.«

Na, wie das Beseitigen aussieht, haben wir ja gerade gesehen. Sonja spielte mit der großen Holzcreole in ihrem rechten Ohr, wie sie es immer tat, wenn sie einer Sache nicht traute. Es war ein großer auffälliger Ohrring, schließlich besaß sie nur einen davon. Und sie trug ihn beinahe schon trotzig als Gegensatz zu den vielen Steckern im linken Ohr.

»Ich habe eine Frage«, meldete sich Sarah und Sonja verdrehte die Augen. Was jetzt kommen würde, hatte nichts, rein gar nichts mit der Forschung zu tun. Sarahs Plan stand fest und sie würde nun so lange auf den Laborkittelträger einreden, bis er ihr die Pflanze überreichte, nur um sie zum Schweigen zu bringen. »Wie viele Exemplare sind denn im Umlauf? Und wo? Und nach welchen Kriterien wird entschieden?«

»Bloß keine Zeit verlieren, ne?«, stieß Sonja zwischen den Zähnen hervor. Ihr Blick wanderte über die anderen Stände, an denen neuartige Herstellungsmethoden, allerlei Pasta- und Nudelsorten angepriesen wurden, und mit einem Mal kam ihr die verlockende Vorstellung in den Sinn, wie man daraus Maultaschen herstellen könnte – auch wenn sie durchaus wusste, wie man sie machte. In diesem Moment hätte sie auch mit einem Zeugen Jehovas gesprochen, nur um dieser äußerst unangenehmen Situation entfliehen zu können. Warum konnte die Intergastra denn nicht gleichzeitig zur Tuning World stattfinden? Dann hätte Sarah sie niemals versucht, zu überreden, mitzukommen, sondern hätte sie tagelang mit ihrer Liebe zu schönen, schnellen und teuren Autos aufgezogen. Zurecht, wenn sie ehrlich war. Sie liebte den Anblick schöner Karosserien, auch wenn sie von den Besonderheiten spezieller Modelle nicht viel Ahnung hatte. Doch den Rausch der Geschwindigkeit, weiches Leder auf der Haut – sie könnte stundenlang über die Autobahn brettern, länger, als sich hier auf der Intergastra tot zu schwitzen und sich Sarahs Geschwätz anzutun. Wären sie durch all die Jahre Küchendienst nicht zwangsläufig Freundinnen geworden – wenn man es denn als Freundschaft bezeichnen wollte -, wäre sie wohl heute nicht mitgekommen. Aber der Schaden, der entstanden wäre, wenn Jannis oder einer dieser Ja-Sager mitgekommen wäre, wäre nicht auszudenken. Peter wäre ausgeflippt. Sarah hätte großkotzig eingekauft, die andere hätten es nie gewagt, ihr zu widersprechen, und die Katastrophe wäre perfekt gewesen. So hatte sie wenigstens schlimmeres verhindern und Sarah davon abhalten können, Küchengerätschaften zu kaufen, die zwar super aussahen, aber absolut unnötig waren. Jetzt musste sie nur noch verhindern, dass Sarah diese Pflanze in die Finger bekam. Sonja seufzte. Das Leben kann echt scheiße sein, aber immerhin ist es kurz und wenn ich mir die Assistentin und diesen Forscher so anschau, könnte ich es durchaus schlimmer erwischt haben und mich intensiver mit Sarah auseinandersetzen.

»Ich wüsste nicht, warum Sie das interessieren sollte, junge Dame.« Der Forscher lachte gekünstelt, wohl um seinen Worten die Schärfe zu nehmen, doch Sonja hatte durchaus bemerkt, dass Sarah zu weit gegangen war. »Aber ich kann Ihnen versichern, das hier« – er deutete auf die Pflanze – »ist das letzte Exemplar, das wir einem Gastronomiebetrieb zur Verfügung stellen können.«

»Dann sollten Sie klug handeln und mir die letzte Pflanze mitgeben.« Sarah lächelte den Laborkittelträger breit und strahlend an. »Und warum sollte ich das tun? Welchen Nutzen hätte es, Sie in die Testgruppe aufzunehmen? Ihnen das letzte Exemplar zu geben?« Der Forscher beugte sich vor. Sonja fiel auf, dass sie nicht einmal seinen Namen wusste. Die ganze Vorstellung wurde ihr immer unheimlicher.

»Lass uns gehen! Sarah, komm schon. Hier stimmt was nicht. Ich trau dem Ganzen nicht. Lass es einfach gut sein.« Worte der Vernunft erreichten Sarah schon im Normalzustand selten, doch war sie auf Beutefang, so wie jetzt, war es schier unmöglich, zu ihr durchzudringen.

»Wir beide«, Sarah deutete auf Sonja, »sind Küchenchefinnen im angesagtesten Laden ganz Tübingens. Der Irish Pub. Wir sind für unsere außergewöhnliche Küche bekannt und haben immer ein volles Haus. Es wäre also nur von Vorteil, uns diese Pflanze mitzugeben, da sie so viele, richtig viele Veganer und Vegetarier erreichen.«

»Nur keine falsche Bescheidenheit.« Sonja rieb sich den Nacken.

»Wir sind beliebt. Jeden Abend und jeden Mittag rennen uns die Leute die Bude ein. Wir sind DER Szene-Laden schlechthin.« Sarah lief zu Hochtouren auf. »Es hat also nicht nur den Vorteil, so viele Menschen wie möglich zu erreichen, sondern auch außerhalb Stuttgarts bekannt zu werden. Win-win-Situation für uns beide.« Bei jedem Wort war sie einen Schritt näher an den Forscher getreten, bis sie ihm letzten Endes ins Gesicht starrte, ihre Nasenspitzen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ihre Augen leuchteten und Sonja wusste, dass Sarah den Geldregen geradezu vor sich sah. Ein kurzer Blick auf das Gesicht des Forschers zeigte ihr, dass es ihm ähnlich ging.

Sonja seufzte. Super.

»Die Möglichkeiten, die Forschungsarbeiten auszuweiten, Tübinger Studenten miteinzubeziehen – wir haben immerhin die berühmte Morgenstelle! – stellen Sie sich doch nur mal all diese Möglichkeiten vor!« Sarah war Feuer und Flamme.

Ja, ja. Die Möglichkeiten. Weil unsere Lebensmittel-Genforschung ja auch so ausgeprägt ist!

»Ich …«

»Was denken Sie denn da noch lange darüber nach! Es bleibt Ihnen eigentlich nichts anderes übrig, als uns diese Pflanze mitzugeben. Wir sind die Zukunft Ihrer Forschung! Mit unserer Hilfe werden Sie mehr Ergebnisse bekommen, als mit allen Restaurants in Stuttgart zusammen!«

Sonja wandte den Kopf ab. Sarahs Überzeugungsargumente schlugen eine Richtung ein, die sie nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte. »Sarah, übertreib es nicht! Bleib bei der Wahrheit – und in der Realität!«, zischte sie der Freundin ins Ohr. »Langsam, aber sicher ist es genug!«

»Du hast einfach keine Ahnung, wie man sich verkauft. Und jetzt lass mich!«

»Ich will damit nichts zu tun haben! Ich bin raus! Das musst du alleine machen.«

»Das bin ich ja schon gewohnt. Wenn es hart auf hart kommt, taugt keiner von euch was. Nur wenn ich das selbst in die Hand nehm, wird das was!«

Sonja verdrehte die Augen. »Meld dich, wenn du nach Hause willst. Ich geh noch bisschen in die Stadt.«

»Jaja, schon recht.« Sarah schien ihr schon nicht mehr zuzuhören. Sonja warf einen letzten Blick auf die Freundin, bevor sie dem Stand den Rücken zukehrte. Und noch während sie aus der Messehalle ging, langsam, durch die Menschenströme geblockt und behindert, konnte sie hören, wie Sarah immer noch auf den Forscher einsprach und ihn zu überzeugen versuchte. Sonja schüttelte den Kopf. Sollte es Sarah gelingen, diese Bacon-Pflanze zu bekommen, würde sie die nächsten Tage, Wochen, Monate wie ein aufgeblasener Gockel herumstolzieren. Sie konnte schon jetzt die Serviceleute hören, die sich lautstark beschwerten. Und Sarah, die mit allen Mitteln versuchte, sich einen großen Vorteil an Macht und Privilegien zu sichern. Konnte sie nicht einfach wieder schwanger werden?