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The Scars Chronicles: Dorn der Finsternis

»Und wenn es eine Sache gibt, die stärker als Liebe ist, dann ist es die Furcht«
Irland, 1921: Olivya Whitethrone muss ihr Erbe als Geisterkriegerin an der Pirestale Akademie antreten. Gemeinsam mit ihrem Team kämpft sie gegen die Gefahren der Geisterwelt. Doch tief in der Finsternis lauert das Böse und wartet nur auf sie …

Ich bin per Zufall über dieses Buch gestolpert und hab mich sofort in das sehr schlichte Cover verliebt (ich mein, habt ihr gesehen, was aktuell mal weider den Fantasybereich dominiert? Da ist das echt mal eine Wohltat).

Ich hab noch nie was von der Autorin gehört oder gelesen – weshalb ich völlig blank an dieses Buch bin und wirklich begeistert war.

Jaha, auch hier ist wie so oft die Charakterzeichnung sehr eindimensional – stört mich ein wenig, mittlerweile sollte man das blizzard’sche morally grey nutzen – und mich hat tatsächlich die fehlende Charakterentwicklung gestört (es gibt einfach kein „Level up“), doch die Idee (die nicht neu ist) ist wirklich gut umgesetzt worden, weshalb ich mich sehr auf den zweiten Band freue (und hier mal Werbung für Ebru Adin machen muss, die nicht nur wahnsinnig hübsch und nett ist, sondern auch ne ziemliche coole Geschäftsidee hat).

Fazit:

Gute Unterhaltung mit den üblichen Schwächen bei Großverlagen, was ich aber nicht anders erwarte. Echte, mutige Texte gibt’s halt wirklich nur bei Indie-Verlagen (liebe Lektoren bei Großverlagen: traut euch mal was und hört auf, die x-te Version der gleichen Charaktere auf den Markt zu werfen).

3,5 Sterne, und eine Empfehlung. Die Autorin schreibt wirklich toll (und man kann ja auch über die branchentypischen Schwächen hinwegsehen ;))

Rio de Janeiro, 1967

Eine kleine Gestalt wanderte durch die Schatten, versteckt und vor allen Blicken geschützt. Sie folgte einer Person, einer bestimmten Person. In ihren Händen hielt sie ein Buch umklammert, dick und alt. Der Ledereinband sah schon reichlich abgenutzt aus. Keiner der beiden hatte einen Blick für die Umgebung übrig. Das Viertel Vila Isabel sprühte vor Leben, vor Lust, vor Freude. Es war die Zeit des Jazz Bossa Nova und die Menschen feierten – überall. Auf den Straßen, in den Häusern, auf den Dächern der Stadt. Rio de Janeiro glich einer großen, niemals enden wollenden Party. Die kleine Gestalt in den Schatten verzog das Gesicht. Bis vor einigen wenigen Augenblicken hatte sie auf der Christusstatue auf dem Corcovado gesessen, dem Treiben der Stadt zugesehen und war völlig fasziniert davon gewesen, wie einzigartig und doch gleich alle Menschen waren. Und nun – nun folgte er wieder einmal einem der beiden Gegenspieler, an die er gebunden war. Gebunden, bis beide starben. Doch den Erzählungen der anderen nach dauerte das meist lang, Jahrhunderte lang. Dämonen und Engel starben eben nicht einfach so, sie waren zäh.
Die große Gestalt vor ihm bewegte sich schneller. Er hatte mühe ihr durch die Schatten zu folgen und musste auf die Fähigkeit seines Volkes zurückgreifen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Er musste durch die Schatten springen. Am liebsten hätte er laut geflucht, aber selbst das war ihm verboten. Er durfte nur folgen, zuschauen und aufschreiben. Er durfte nicht eingreifen, er durfte nicht Partei ergreifen und er durfte die Menschen nicht schützen. Die Gestalt, der er folgte, eilte an den Favelas vorbei, ließ die Luxuswohnungen hinter sich und eilte direkt an den Strand Ipanemas. Das militärische Fort und die Dois Irmãos ignorierten beide. Die große Gestalt hielt direkt auf einen großen Schatten zu, der am Strand stand und aufs Meer hinaus sah. Er suchte sich schnell einen Platz, von dem aus er alles sehen und genau aufschreiben konnte. Er wusste, was nun kam. Ein kleines Wortgeplänkel und ein recht blutiger Kampf. Es war immer dasselbe.
»Delo, du hast es also doch hergeschafft! Ich bin beeindruckt! Dieses Mal hast du dir ja gar nicht so viel Zeit gelassen wie sonst. Du kommst sogar noch rechtzeitig, um zu sehen, wie all das Leben aus dieser jämmerlichen Kreatur fließt.« Der große Schatten, der aufs Meer geblickt hatte, drehte sich um, während er sprach. Augen glühten rot und bedrohlich in seinem Gesicht, das man nicht deutlich erkennen konnte. Doch er wusste, wer es war. Dandalos, der Dämon an den er gebunden war, Gegenspieler des Engels Delo. Ewig im Kampf um Seelen für ihre beiden Herren und er auf ewig dazu verdammt ihnen zu folgen, bis sie sich schlussendlich beide gegenseitig umbrachten.
»Delo, sieh sie dir an! Erinnert dich das Mädchen nicht an Julia, Cäsars unglückliche Tochter, die du ebenfalls nicht retten konntest? Diese reine Haut – wie feinstes Porzellan und so weich wie Seide. Zu schade, dass sie dieser Welt nicht erhalten bleibt und ihre Seele mir gehört!«
»Dandalos, noch hast du nicht gewonnen! Ich kann sie immer noch retten und das weißt du!« Delo, der mit großen Schritten ins Wasser geeilt war, schien gewillt zu sein, das Leben des jungen Mädchens zu retten. Er breitete seine Flügel aus, spannte sie schützend vor den Körper des Mädchens, während er sie aus dem Wasser hob. Von seinem Platz aus konnte er sehen, wie Blut und Meerwasser von ihrer Haut perlten und langsam mit den Wellen verschmolz. Delo hatte recht gehabt. Ihre Haut war makellos und rein wie Porzellan, doch sie schien mehr tot denn lebendig zu sein. Adern schimmerten bläulich unter ihrer Haut, dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, ihre Lippen waren bleich und farblos. Sie hatte wirklich nicht mehr lange auf dieser Erde. Delo musste sich beeilen, wenn er sie retten wollte, doch er war dazu verdammt, nichts zu sagen und nicht einzugreifen. Delo musste von selbst auf die richtige Lösung kommen, obwohl er sie durch all die Jahre und all das Gesehene schon kannte. Wie aufs Stichwort schien Delo zu glühen. Ein warmes, goldenes Schimmern ging von seinen Flügeln aus, während er sacht das Mädchen an den Strand trug und dabei heilte. Auf diesen Moment schien Dandalos nur gewartet zu haben. Delo, Kriegerengel des Michaels, war kein Heiler und der Heilungsprozess forderte seine ganze Aufmerksamkeit und Kraft. In diesen Momenten war er angreifbarer denn je und sie alle drei wussten es. Die kleine Gestalt im Schatten schüttelte den Kopf. Jedes Mal denselben Fehler. Jedes Mal. Es war zum verrückt werden.
Dandalos‘ Augen glühten stärker, Schatten waberten um ihn herum, griffen nach Delos goldenen Flügeln, dem goldenen Schimmern, das von ihm ausging. Sie schlichen sich über ihn, wanderten mit seinen Heilkräften zu dem jungen Mädchen in seinen Armen.
Er schüttelte den Kopf. Delo lernte es nie. Dandalos nutze den Heilungsprozess immer, um mit seinen Schatten die Opfer zu vergiften – und meist waren sie stärker als das Licht, das von Delo ausging. Er brauchte eigentlich nicht weiter zusehen, es war sowieso schon klar, was passieren würde. Die junge Frau würde sterben, es kam zum Kampf, keiner der beiden würde sterben und einer von ihnen – aller Wahrscheinlichkeit nach Dandalos – würde verschwinden und sich ein neues Opfer suchen. Ein Gähnen unterdrückend ließ er dennoch den Stift über das Papier gleiten. Aufgabe war nun mal Aufgabe.
Dandalos‘ Schatten schienen es dieses Mal schwerer zu haben als sonst. Hatte er sich etwa das falsche Opfer ausgesucht? Die kleine Gestalt hob eine Augenbraue und runzelte die Stirn. Konnte es sein, dass der Dämon sich ein getauftes Opfer erwählt hatte? Ein gläubiges Opfer? Mit Absicht? Um das Ganze spannender zu gestalten? Das wäre ja mal etwas Neues. Er beobachtete, wie die Schatten durch die Adern über den Körper des Mädchens wanderten. Sie verlor noch mehr an Farbe, wurde fahler und bleicher. Glich immer mehr dem Tod persönlich denn einer Lebenden. Delo schien davon nichts mitzubekommen, er war viel zu konzentriert auf den Heilungsprozess. In wenigen Augenblicken würden die Schatten das Herz und somit ihr Ziel erreicht haben. Delos Anstrengung würde völlig umsonst gewesen sein. Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als um die Seele zu kämpfen, wenn er schon das Gefecht um ihr Leben verloren hatte.
»Kleiner, naiver Engel. So jung, so hoffnungsvoll. Hast du nach all den Jahren immer noch nicht begriffen, wie meine Kraft wirkt?« Dandalos kicherte. Seine Schatten hatten das Herz des Mädchens ergriffen, das Leben aus ihr herausgepresst. Tot lag sie in den Armen Delos, ohne begriffen zu haben, was mit ihr geschah. Dandalos war ein Meister, wenn es darum ging, leise und völlig überraschend zu töten. Die meisten seiner Opfer fühlten nichts – ihm ging es um die Qualen ihrer verzweifelten himmlischen Retter, wenn sie merkten, dass alles umsonst gewesen war. Sein Stift flog förmlich über das Papier, er musste sich anstrengen, um mitzukommen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Delo keuchte. Er fiel auf die Knie, das Mädchen immer noch im Arm. Eine einzelne, goldene Träne rann über seine Wange, als er begriff, dass er verloren hatte. Schatten huschten an ihm vorbei, etwas Weißes, Leuchtendes in ihrer Mitte. Ihre Seele. Das goldene Schimmern wandelte sich zu einem Leuchten, als er den Leichnam sacht in den Sand legte und sich erhob. Zwei lange Einhandschwerter mit glühenden Runen erschienen in seinen Händen. Seine goldenen Augen leuchteten unheilvoll. Sein weißer Anzug war verschwunden und stattdessen kleidete ihn eine goldene Rüstung. Delo würde kämpfen. Er würde um die Seele des Mädchens kämpfen. Dandalos, nach wie vor in der Dunkelheit verborgen, so dass nur seine rotglühenden Augen zu sehen waren, schnippte nachlässig und die Seele des Mädchens wandelte sich in einen leuchtenden Kristall. Er warf ihn ihm zu. Direkt auf die frisch geschriebenen Worte. Die kleine Gestalt seufzte, hob das Buch an, so dass der Seelenkristall in den Sand fiel. Er durfte ihn nicht hüten. Er durfte ihn nicht anfassen. Er durfte nichts tun außer Schreiben, Beobachten, Folgen.
»Ah, unser kleiner Freund will wieder einmal nicht mitspielen. Wie bedauerlich!«, schnurrte Dandalos. Die Schatten um ihn herum verdichteten sich. Schienen mit ihm zu verschmelzen. Delo hob seine beiden Schwerter und stürmte auf den Dämon zu. Der erste Hieb verschwand in tiefster Dunkelheit. Schatten griffen nach den Flügeln des Engels, zogen, zerrten. Delo ignorierte sie. Er hieb verbissen nach Dandalos, der in der Dunkelheit, die unheilvoll über den Sand wabberte, nicht mehr zu erkennen war. Die Schatten griffen wie Krallen nach dem Engel, drängten sich gegen das goldene Leuchten, zuckten immer wieder zurück, sobald sie es berührten. Dennoch schienen sie nicht aufgeben zu wollen. Sie wollten den Engel verletzen, wollten ihn zu Boden ringen. Delo verstärkte seine leuchtende Aura. Der Sand zu seinen Füßen glühte und schmolz zu Glas. Bei jedem Schritt, bei jedem Hieb wirbelten Sandkörner und kleine Glassplitter auf, die glitzernd durch die Luft stoben. Die kleine Gestalt seufzte. Zu oft hatte er das schon gesehen.
Blut spritzte auf seine Seiten. Verärgert tupfte er die Spritzer mit dem Finger trocken, um das Schlimmste zu verhindern. Das nächste Mal würde er sich wieder einen Platz außerhalb ihrer Reichweite suchen müssen und hoffen, dass er trotz der speziellen Umstände nichts verpasste. Den anderen seines Volkes war es gleichgültig, wie ihre Texte aussahen, ihm hingegen ging es um Perfektion. Das Einzige, das er selbst beeinflussen konnte. Plötzlich stutzte er. Blut? Er hob den Kopf. Delo hatte Dandalos getroffen. Der Sand war blutgetränkt, eines der Schwerter glitzerte rötlich. Die Schatten, die nach Delo griffen, schienen nun aggressiver vorzugehen. Mit einer Art rasender Wut schnitten sie die goldenen Flügel auf, wetzen ihre nicht greifbaren und dennoch materialisierten Krallen an der glänzenden Rüstung des Engels. Zogen an seinen Haaren, fuhren mit tiefen Kratzern über seine Haut. Delo schien sich nicht darum zu kümmern. Angetrieben von dem Triumph, den Dämon erwischt zu haben, hieb er kraftvoll und unbeirrt auf die wabbernde Dunkelheit ein, in deren Mitte immer wieder unheilvoll leuchtende rote Augen erschienen. Blut spritze immer wieder aus den wabbernden Schatten, in die sich Dandalos gehüllt hatte, auf den Sand, während kleine Rinnsäle des Lebenssaftes über Delos Haut wanderten. Am Horizont ging langsam die Sonne auf, tauschte das Schauspiel in ein makaberes Licht und verhalf Delo unabsichtlich zu einem entscheidenden Vorteil. Dem Schutz der Dunkelheit beraubt, war Dandalos angreifbarer, seine Schattengestalt deutlicher auszumachen. Auf dem Gesicht des Engels erschien ein breites, triumphales Grinsen. Er setzte zu einem entschiedenen Hieb an, um dem Dämon den Kopf abzuschlagen, als dieser mit einem tiefen Knurren und den Worten »Es ist noch nicht vorbei!« mit dem Wind verschwand. Delos Hieb ging ins Leere.
»Immerhin gehört mir ihre Seele.« Mit Bedauern ließ Delo seine Schwerter verschwinden und atmete tief durch. Er faltete seine Flügel auf seinem Rücken, leuchtete ein letztes Mal strahlend hell, bevor er wieder in seinem tadellos sitzenden schwarzen Anzug gekleidet war. Mit wenigen Schritten war er am Leichnam des Mädchens angekommen, berührte sie sacht. »Deine Seele ist in Sicherheit. Nichts wird dir mehr schaden können.« Schon bald würden sie den toten Körper finden, ohne Wunden, ohne Kampfspuren. Sie würden einen Herzstillstand vermuten und wie immer ahnungslos bleiben. Wie schon all die Jahrhunderte zuvor würden die Menschen nicht ahnen, welch perfides Spiel um ihre unsterblichen Seelen getrieben wurde. Sein Blick begegnete dem des Engels, als dieser zu ihm trat und den Seelenkristall aufhob.
»Wir sehen uns sicher bald wieder, kleiner Schreiberling«, murmelte Delo und neigte den Kopf zum Abschied, bevor er in einer Art Stichflamme verschwand. Die kleine Gestalt verzog das Gesicht. Schreiberling – wie er diese Bezeichnung hasste. Er war ein Chronist! Er war ein Chronist aus dem einzigen Volk, das fähig war, Dämonen und Engeln zu widerstehen und sich nicht von ihrer Macht blenden zu lassen. Chronist und kein Schreiberling! Mit einem Grunzen schlug er das Buch zu und schloss die Augen. Er spürte, wie ihn etwas rief. Ein erneutes Ereignis. Sie gönnten ihm und sich selbst nicht einen einzigen Augenblick Ruhe. Seufzend zog er sich weiter in die Schatten zurück und sprang mit ihrer Hilfe zu dem Ort der nächsten Begegnung.